Impfstoffstreit: Großbritannien will Exportverbot abwenden

Brüssel ist sauer auf Astrazeneca, weil der Hersteller viel weniger Impfstoff liefert als vereinbart. Aber helfen Exportverbote? Oder riskiert man einen «Impfkrieg»? Immerhin wird wieder geredet.

Im Streit um knappen Corona-Impfstoff gibt sich Großbritannien zuversichtlich, Exportverbote der Europäischen Union abwenden zu können.

«Ich bin nach Gesprächen mit EU-Partnern in den vergangenen Monaten sicher, dass sie keine Blockaden wollen», sagte Premierminister Boris Johnson der Agentur Bloomberg. «Ich denke, das ist sehr, sehr wichtig.» Die EU-Kommission stellte in Brüssel klar, dass auch sie eigentlich keine Exportverbote wolle. Doch müsse die EU bestellte Impfstoffe von Herstellern rasch und verlässlich bekommen.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende vor allem dem britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca damit gedroht, Exporte zu verbieten. Die Firma hatte ihre Lieferungen an die EU einseitig drastisch gekürzt: Statt der ursprünglich anvisierten 120 Millionen Impfdosen sollen im ersten Quartal nur 30 Millionen kommen, im zweiten Quartal 70 Millionen statt 180 Millionen Dosen.

Grundsätzlich wirft die EU Großbritannien vor, keine Impfstoffe zu exportieren, selbst aber Lieferungen aus EU-Ländern zu nutzen. Nach Angaben aus EU-Kreisen gingen bisher rund 18 Millionen Impfdosen aus der EU ins Vereinigte Königreich. Derzeit hofft Großbritannien offenbar auf Nachschub von Astrazeneca aus einem Werk in den Niederlanden, zumal auch im Königreich Impfstoff knapp zu werden droht.

Astrazeneca selbst sagt fast nichts zu dem Konflikt. Vizepräsident Ruud Dobber erklärte auf Nachfragen nur, das niederländische Werk spiele kaum eine Rolle in der Lieferkette. «Wir geben unser Bestes, alle Dosen an die Europäer zu liefern», sagte Dobber.

Johnson sagte im nordenglischen Preston, Großbritannien werde sein Impfprogramm mit voller Kraft fortsetzen. Die Entwicklung und Herstellung von Vakzinen seien internationale Projekte, die internationaler Kooperation bedürften, betonte er. Der Premier will nach Informationen der BBC vor dem EU-Gipfel am Donnerstag unter anderem Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron überzeugen, die Ausfuhr nicht zu blockieren. Mit beiden soll der Premier bereits am Sonntag telefoniert haben.

Beim EU-Gipfel sollen von der Leyens Vorschläge für weitere Exportbeschränkungen Thema sein. Bisher ist aber nicht klar, wie weit die Maßnahmen gehen könnten und wen sie genau träfen. «Auf die genauen Vorschläge müssen wir alle noch ein bisschen warten», sagte Kommissionssprecher Eric Mamer. Vorerst scheint von der Leyens Kalkül, möglichst schon mit der Drohung Regierungen und Hersteller zu Gesprächen über schnellere Lieferungen an die EU zu bringen.

Denn Exportbeschränkungen sind auch in der EU umstritten. Der irische Regierungschef Michael Martin wandte sich am Montag im Sender RTÉ strikt dagegen: «Ich bin sehr dagegen, ich denke es wäre ein sehr rückwärtsgewandter Schritt.» Er warnte davor, wegen des Problems mit Astrazeneca die Lieferketten anderer Impfstoffproduzenten wie Moderna und Johnson & Johnson zu untergraben.

Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange übte ebenfalls Kritik. «Das gibt nur Anderen einen Vorwand, Lieferketten zu unterbrechen», sagte Lange der Deutschen Presse-Agentur. Die Lieferprobleme bei Astrazeneca sollte die EU lieber mit Vertragsstrafen ahnden. «Da verstehe ich nicht, dass man die Kanone Exportkontrolle aus dem Keller holt», sagte der Handelsexperte. Der Chef des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck, Stefan Oschman, sagte dem «Handelsblatt»: «Ein Impfstoffkrieg wird allen schaden.»

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