Vor Lockdown: Ruf nach längerfristiger Perspektive

Plötzlich sind sich alle einig – im Kampf gegen die Corona-Pandemie braucht es eine Notbremse. Doch wird Deutschland im Januar wieder aufmachen können? Die Opposition meint, es muss langfristiger gedacht werden.

In Sachsen gilt ab sofort ein harter Lockdown – zwei Tage später wird das öffentliche Leben auch bundesweit drastisch heruntergefahren.

Neben den meisten Geschäften bleiben Kitas, Schulen und Horte zu – mindestens bis zum 10. Januar. Für die Zeit danach machte Kanzleramtschef Helge Braun am Montag wenig Hoffnung auf schnelle, weitreichende Lockerungen. Er habe zwar großes Zutrauen, dass die Corona-Infektionszahlen sinken, sagte der CDU-Politiker in der Sendung «Frühstart» von RTL/n-tv. Aber: «Eine umfassende Lockerung halte ich für sehr, sehr unwahrscheinlich.» Januar und Februar seien, was Atemwegsinfektionen angeht, besonders schwierige Monate, erläuterte der Mediziner.

Zugleich sagte Braun zu, dass Schulen und Kitas nach einem Ende des Lockdowns als Erstes wieder geöffnet werden. «Das haben wir immer gesagt. Das ist das Letzte, was wir schließen und das Erste, was wir öffnen. Bildung hat Priorität, und dabei bleibt es auch.» Für Kinder von Eltern systemrelevanter Berufe soll es bereits während des Lockdowns wie schon im Frühjahr eine Notbetreuung geben.

Grund für den harten Lockdown sind die drastisch gestiegenen Corona-Zahlen, die Gefahr eines Kontrollverlusts. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Sonntag bei RTL-«Aktuell»: «Tatsächlich ist das eine Naturkatastrophe, mit der wir konfrontiert sind. Das ist wie, wenn der Vesuv ausbricht. Da kann man nur noch sehen, dass man sich in Sicherheit bringt – und das ist das, was wir tun.»

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) rief die Bürger dazu auf, am Montag und am Dienstag vor dem Lockdown wegen der Infektionsrisiken auf den Einkauf von Weihnachtsgeschenken zu verzichten. «Ich wünsche mir und ich hoffe, dass die Menschen nur das Allernötigste besorgen, was sie wirklich brauchen an Lebensmitteln», sagte er am Sonntagabend im «Bild»-Politik-Talk. «Je schneller wir diese Infektionen unter Kontrolle bekommen, desto besser ist es für alle.»

Mit einem Wirtschaftseinbruch wie im März rechnet Altmaier im neuen Lockdown nicht. «Ich bin mir relativ sicher, dass wir eine Rezession wie im Frühjahr diesen Jahres diesmal nicht erleben werden», sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. «Es ist möglich, wenn wir klug vorgehen, auch jetzt noch einmal die wirtschaftliche Substanz des Landes zu bewahren.» Dazu gehörten Hilfsmaßnahmen, aber auch, dass die Einschränkungen nicht immer wieder verlängert werden müssten, «weil wir nicht mutig genug sind». Rückblickend sei die Politik mit den weniger harten Maßnahmen der vergangenen Wochen im Kampf gegen das Coronavirus zu mutlos gewesen.

Auch aus der Opposition kommt Zustimmung für die Maßnahmen – man wünscht sich aber eine langfristigere Planung für die Zeit nach dem Lockdown. «Corona wird uns nicht am 10. Januar verlassen – das ist naiv, an sowas zu glauben», sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing im Deutschlandfunk. «Ich würde mir wünschen, dass wir nicht alle paar Wochen uns eine neue Strategie in Deutschland überlegen, wie wir mit Corona umgehen, sondern dass man jetzt mal etwas auf den Weg bringt, das ein paar Monate trägt.» Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der «Rheinischen Post» (Montag): «Für die nächsten Monate brauchen wir planvolles Handeln und eine längerfristige Perspektive. Ich erwarte, dass wir im Januar endlich ein Gesetz mit einem bundesweit verbindlichen Stufenplan verabschieden, durch den klar ist, wann und wo welche Maßnahmen gelten.»

Um die Welle zu brechen sollen ab Mittwoch bundesweit Geschäfte schließen, Ausnahmen gibt es für Lebensmittelläden, Drogerien und andere Läden des täglichen Bedarfs. Der Einkauf in den Zentren werde fast zum Erliegen kommen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, der Deutschen Presse-Agentur. Auch Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Friseursalons und Kosmetikstudios werden geschlossen. Medizinisch notwendige Behandlungen, zum Beispiel Physiotherapien bleiben möglich.

Es dürfen sich weiterhin nur maximal fünf Verwandte, Freunde oder Bekannte aus höchstens zwei Hausständen privat treffen. Kinder bis 14 Jahre zählen dabei nicht mit. Ausnahmen für Weihnachten soll es nur abhängig vom Infektionsgeschehen geben.

Der Physiker Dirk Brockmann ist von der Wirksamkeit des harten Lockdowns überzeugt. Er führe dazu, «dass die Kontakte sich noch einmal substanziell verringern und dann die Fallzahlen auch schnell wieder in den Keller gehen», sagte der Spezialist für computergestützte Epidemiologie im ZDF-«Morgenmagazin». «Wir müssen aus dem Flächenbrand wieder einen Schwelbrand machen», betonte er. Der Wissenschaftler erstellt Modellrechnungen, wie Pandemien sich entwickeln. Der weiche Lockdown habe demnach geholfen, aus dem exponentiellen Wachstum herauszukommen. Nun müssten noch einmal 20 Prozent mehr Kontakte reduziert werden, um die Fallzahlen wirklich zu senken.

Der Düsseldorfer Virologe Jörg Timm warnte mit Blick auf die Feiertage und Silvester vor einer Zunahme der Corona-Fälle: «Ich hoffe sehr, dass die Menschen auch über die Weihnachtstage auf private Feiern und Familienbesuche weitgehend verzichten werden. Bei den aktuellen Infektionszahlen ist sonst mit einer drastischen Zunahme der Covid-19 Fälle im neuen Jahr zu rechnen, die uns vor enorme Probleme stellen wird», sagte er der «Rheinischen Post».

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