Eigentlich alle haben gehofft, dass der Teil-Lockdown des öffentlichen Lebens im November das Coronavirus bremst. Selbst der FDP-Chef und Regierungskritiker Christian Lindner.
In der Generaldebatte im Bundestag vier Tage vor dem Start der Novemberschließungen fragte er nur: «Aber was kommt danach? Was passiert im Dezember? Was passiert also, wenn nach den Weihnachtsferien die Fallzahlen erneut steigen?»
An diesem Montag nun ziehen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten eine Zwischenbilanz. Dass die Runde schon größere Lockerungen beschließen wird, ist kaum zu erwarten. Die weitere Ausbreitung des Coronavirus und immer neue Höchststände der Zahl der Neuinfizierten werfen eher die Frage auf: Was passiert eigentlich, wenn nicht einmal die für manche als unerträglich empfundenen Maßnahmen kaum etwas bringen?
In der Debatte vor zwei Wochen formulierte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) es so: «In den nächsten Wochen wird sich
entscheiden, ob und wie wir Weihnachten feiern können. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob unser Gesundheitssystem die Pandemie tragen kann. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob unser wirtschaftlicher Wohlstand erhalten werden kann.»
Am Donnerstagabend nun räumte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor Vertretern der unter Dauerstress stehenden Pflegebranche ein: Es könnte sein, dass auch mit Corona infizierte Pfleger und Ärzte zum Dienst antreten müssen – schlicht um einen Zusammenbruch der Versorgung in ihren Kliniken und Heimen zu vermeiden. Als im Oktober in Belgien Dutzende Ärzte und Pfleger in völlig überlasteten Kliniken trotz Infektion im Einsatz waren, konnte man in Deutschland noch mit Schaudern und Mitleid auf den Notstand im Nachbarland schauen.
Wie soll die Evaluierung des Teil-Lockdowns ausfallen, wenn sich die Maßnahmen als weitgehend unwirksam erweisen? Als Merkel die Beschlüsse mit den Ministerpräsidenten fasste, soll die Frage kurz eine Rolle gespielt haben. «Wenn wir dann nichts sehen, ist das nicht so dolle», hat die Kanzlerin laut «Süddeutscher Zeitung» da gesagt.
Kommt doch wieder eine Schließung der Schulen wie im März? Das Recht auf Bildung solle weiter in Schule und Kita verwirklicht werden – «so lange wie möglich», sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die Rheinland-Pfälzerin Stefanie Hubig (SPD), nun in einem Interview.
Müssen die Läden erneut schließen? Ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft könnten etwa Schuhgeschäfte, Spielwarenläden und Elektromärkte das Feld wieder Amazon und Co überlassen müssen. Der Branchenverband HDE sieht schwarz: Großflächige Ladenschließungen wären «für viele Händler – insbesondere im Bekleidungshandel – das Ende», sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Deutschlands Innenstädten könnten 50 000 Geschäfte verloren gehen. Noch mehr Hilfen für Unternehmen als bisher schon könnte es laut Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geben.
Auch das Gastgewerbe – Restaurants, Gaststätten, Hotels – sind angesichts der aktuellen Corona-Zahlen hoch alarmiert. Eigentlich war es doch Ziel der Kontaktbeschränkungen im November, dass Weihnachten so weit wie möglich gefeiert werden kann – jedenfalls im Kreis der Familie. Doch auf das sonst so ertragreiche Geschäft mit großen Weihnachtsfeiern, das dürfte mittlerweile vielen klar sein, wird man diesmal verzichten müssen. Hohe Einnahmeeinbußen inklusive.
Viele Wirte und Hoteliers dürften jedenfalls derzeit noch darauf hoffen, dass sie im Dezember wenigstens wieder in Teilen öffnen dürfen. Zumal sie in den vergangenen Monaten viel zum Schutz ihrer Gäste investiert haben. Denn ob es nach den November-Hilfen, die Umsatzausfälle wenigstens zum Teil ersetzt haben, tatsächlich auch noch eine staatliche Weihnachtshilfe gegen Ausfälle beim traditionell hohen Vorweihnachtsumsatz im Gastgewerbe geben kann, ist offen.
Doch so weit ist es längst nicht. Erstmal heißt es abwarten – und appellieren, dass die Menschen Kontakte auch wirklich vermeiden. «Eine erste Bewertung» erwartet Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) laut einem Interview für Montag. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) treibt andere Länderchefs in der Krise regelmäßig vor sich her. «Unser Ziel muss sein, unter die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 zu kommen», sagt Söder im «Münchner Merkur». Das ist auch das Ziel, das Merkel und ihre wichtigsten Berater wie Kanzleramtschef Helge Braun, der selbst Mediziner ist, im Blick haben. Und das beide schon vor den Beratungen Ende Oktober genannt hatten, als es um die November-Einschränkungen ging.
Doch von der 50er-Marke ist das Land weit entfernt. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche liegt deutlich über 130. Das sogenannte Sieben-Tage-R liegt mit 0,93 zwar unter der kritischen Marke von eins: 100 Infizierte stecken rechnerisch 93 Menschen an. Doch der neue Höchststand von 23 542 neu registrierten Corona-Infektionen dürfte der Debatte über weitere Einschränkungen bis Montag neue Nahrung geben.
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