Plädoyers im Halle-Prozess rücken näher

Am 20. Prozesstag im Verfahren zum Anschlag von Halle könnte die Beweisaufnahme schließen. Wenn alles nach Plan läuft, könnte im Dezember ein Urteil gesprochen werden. Noch könnte der Prozess aber sogar platzen.

Zum Ende der Beweisaufnahme im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle soll es noch einmal um eine der zentralen Fragen des Verfahrens gehen: Welche Auswirkungen hatte der rassistische und antisemitische Anschlag auf das jüdische Leben in Deutschland?

Dazu will das Gericht am Dienstag einen Mitarbeiter des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus befragen. Dabei gehe es zum Beispiel um Auswirkungen auf Veranstaltungen und Sicherheitsvorkehrungen jüdischer Einrichtungen, sagte ein Gerichtssprecher.

Außerdem soll am Dienstag das psychiatrische Gutachten über den Angeklagten ergänzt werden. Im Anschluss könnte die vorsitzende Richterin Ursula Mertens die Beweisaufnahme schließen, teilte das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg mit.

Das hängt unter anderem davon ab, wie lange die Vernehmung des Zeugen dauert. Hat der alle Fragen von Anklage, Nebenklage und Verteidigung schnell beantwortet, könnte Mertens noch am Dienstag oder auch erst am nächsten Prozesstag am Mittwoch der Bundesanwaltschaft das Wort für ihren Schlussvortrag erteilen. Nach der Anklage plädieren dann noch die Verteidigung und die 21 Anwälte der insgesamt 45 Nebenkläger. Die Plädoyers dürften sich deshalb über mehrere Verhandlungstage hinziehen.

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Terrorist versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er scheiterte an der Tür, erschoss dann eine Passantin und später einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss und verletzte weitere Menschen. Der 28-jährige Deutsche Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen Verschwörungstheorien begründet. Seit Juli läuft vor dem OLG Naumburg der Prozess, er findet aus Platzgründen in Magdeburg statt.

Am Dienstag muss Mertens mit den vier weiteren Richterinnen und Richtern außerdem noch über einen Antrag der Verteidigung entscheiden. Die hatte Anfang November die Aussetzung oder dreiwöchige Unterbrechung des Verfahrens beantragt.

Der Attentäter hatte auf seiner Flucht einen Schwarzen angefahren, die Bundesanwaltschaft hatte das als fahrlässige Körperverletzung angeklagt. Mehrere Nebenklage-Anwälte bezeichneten das als «faktische und juristische Fehleinschätzung». Im Prozess hatte sich nach Ansicht der Vertreter des angefahrenen und verletzten Mannes gezeigt, dass der Angeklagte bewusst und mit der Absicht ihn zu töten auf ihren Mandanten zugehalten habe, als er ihn als Schwarzen erkannt hatte.

Die Anwälte hatten deshalb beantragt, auch dafür eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Betracht zu ziehen. Mertens war dem gefolgt und hatte der Verteidigung einen entsprechenden Hinweis gegeben.

In solchen Fällen kann die Verteidigung die Aussetzung beantragen, falls sich dadurch eine neue Sachlage ergibt. Würde das Gericht dem zustimmen, könnte der Prozess platzen. Das gilt allerdings als sehr unwahrscheinlich: In einer vorläufigen Bewertung hatte Mertens gesagt, dass sie keine neue Sachlage erkenne und sie dazu neige, den Antrag der Verteidigung abzulehnen. Zuvor muss sie aber mit allen anderen Richtern darüber beraten. Da sie den Prozessbeteiligten bis Montag 24.00 Uhr Zeit gegeben hatte, Stellung zu dem Antrag zu beziehen, war am Montag noch unklar gewesen, wann diese Beratung stattfinden sollte und ein endgültiges Ergebnis zu erwarten ist.

Eine reellere Gefahr für die plangemäße Fortsetzung des Prozesses ist die Corona-Pandemie. Zu Beginn des Teil-Lockdowns hatte Mertens die Abstandsregeln im und vor dem Gerichtssaal verschärft und die Maskenpflicht ausgeweitet. Sollte es trotzdem zu Infektionen unter den Prozessbeteiligten kommen, erlaubt die Strafprozessordnung eine Unterbrechung von bis zu drei Monaten. Laufen das Ende der Beweisaufnahme und die Schlussvorträge planmäßig ab, könnte im Dezember ein Urteil gesprochen werden. Nach den Verhandlungstagen am Dienstag und Mittwoch soll der Prozess Anfang Dezember fortgesetzt werden.

© dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten.