Es ist eine Szene wie in einem großen Gerichtsprozess – doch sie spielt sich ab im Deutschen Bundestag: Unter dem hektischen Klicken der Kameras wird ein Untersuchungshäftling vorgeführt.
Der frühere Chef des Skandalkonzerns Wirecard muss, so hat es ein Gericht entschieden, persönlich vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin aussagen.
Es geht um den beispiellosen Absturz eines Börsenstars, um den wohl größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte und um eine mögliche Verstrickung der Politik. Im dunkelblauen Anzug mit dunkelblauem Rollkragenpullover und dünner Stimme stellt sich Markus Braun am Donnerstag den unerbittlichen Fragen der Abgeordneten – und sagt: fast nichts.
Dabei beginnt es vielversprechend: «Mein Name ist Markus Braun, ich bin 51 Jahre alt, ich wohne derzeit in der JVA Augsburg», sagt der Wirtschaftsinformatiker. Was er nicht sagt: Braun gilt als einer der Hauptverantwortlichen des Mega-Betrugsskandals, bei dem das deutsche Fintech-Unternehmen Wirecard über Jahre Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht haben soll.
Die Abgeordneten erwarten überhaupt nicht, dass der Ex-Manager hier im Ausschuss mögliche kriminelle Machenschaften gesteht. Zeugen müssen sich nicht selbst belasten. Sie wollen Braun vor allem zu seinen Kontakten zu Politik und Behörden befragen. Mit wem hat er über was gesprochen? Welche Unterstützung wurde Wirecard aus der Politik zugesichert? Wer hätte den Betrug vielleicht erahnen, vorhersehen können? Vor allem aus Sicht der Opposition gibt es Hinweise darauf, dass die Aufsichtsbehörden Wirecard als aufstrebenden Börsenstar möglicherweise mit Samthandschuhen angefasst haben.
Das als deutsche Technologiehoffnung gehandelte Unternehmen war ein Dienstleister für bargeldlose Zahlungen etwa an der Ladenkasse – ein hart umkämpfter Markt. Nach bisherigem Stand der Ermittlungen machte Wirecard jahrelang Verluste. Laut Münchner Staatsanwaltschaft wurden seit 2015 Scheingewinne auswiesen. Die Wirtschaftsprüfer von EY bemerkten offenkundig nichts. Allein Banken und Investoren verloren den Ermittlern zufolge mehr als drei Milliarden Euro – ganz zu schweigen vom Schaden für die Aktionäre nach dem rasanten Börsenabsturz. Nach dem ehemaligen Vorstandsmitglied Jan Marsalek fahndet die Polizei noch immer.
Braun sagt zu all dem am Donnerstag nur eines: Behörden, Aufsichtsstellen und Politiker hätten nichts falsch gemacht, sich zu keiner Zeit nicht korrekt, pflichtwidrig oder unlauter verhalten. Gleiches gelte für den Aufsichtsrat und die Wirtschaftsprüfer, die «offenbar massivst getäuscht» worden seien.
Dann inszeniert der Manager ein konsequentes Pingpong-Spiel, ein Spiel gegen eine Mauer. Denn Braun sagt nichts mehr. Auf jede Frage der Abgeordneten verweigert er die Aussage. «Ich werde mich heute nicht weiter einlassen.» «Ich werde von meinem Statement nicht abweichen.» «Ich bleibe bei meinem Statement.» Fast eine Stunde lang, bis die Abgeordneten die Befragung unterbrechen. Danach geht es im gleichen Stil weiter.
Braun blockt ab, Braun mauert. Und die Abgeordneten aller Fraktionen fragen weiter. Hatte Braun an seinem 50. Geburtstag ein Gespräch mit Finanzstaatssekretär Jörg Kukies? Gab es Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten? Selbst einfache Fragen wie die des Linken-Abgeordneten Fabio De Masi («Ist es zutreffend, dass Sie eine Tochter haben?», «Glauben Sie, dass Sie aus Ihrem Leben etwas gemacht haben?») beantwortet Braun nicht. Auch nicht die vom Finanzpolitiker der FDP, Florian Toncar, ob er schon einmal mit Vizekanzler Olaf Scholz gesprochen habe. Dem Grünen-Abgeordneten Danyal Bayaz verrät er zumindest sein Geburtsdatum – was aber auch kein Geheimnis ist.
Fragen nach seiner Familie und dem Titel seiner Doktorarbeit sollen offenkundig aufzeigen, dass Braun auch solche Fragen nicht beantwortet, die ihn in dem Betrugsverfahren überhaupt nicht belasten könnten. Aus Sicht der Abgeordneten hat er dazu kein Recht. Braun jedoch argumentiert, all diese Details seien «Teil eines mosaikartigen Gesamtbildes». Es könne aber sein, dass er seine Angaben nach der Aussage vor der Staatsanwaltschaft ergänzen werde.
Schon lange vor Ende der Befragung ist klar: Der Ausschuss läuft gegen eine Wand. Toncars Fazit lautet: «Markus Braun hat sich nicht geändert. Er trickst, er verfolgt rücksichtslos den eigenen Vorteil.» Der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk räumt ein, er sei mit seinem Latein am Ende. Neue Erkenntnisse werden die Abgeordneten an diesem Nachmittag nicht erlangen. Braun lasse jedweden Respekt vermissen, kritisiert der Unions-Abgeordnete Matthias Hauer. Die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe fragt den Manager, ob ihm bewusst sei, dass sein Schweigen «Menschen mit in den Abgrund zieht». Die Antwort können die Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt bereits mitsprechen: «Ich werde mich nicht abweichend zu meinem Statement äußern.»
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