Strafrechtliche Konsequenzen für AfD-Störer?

Die AfD im Bundestag gibt sich unschuldig, die anderen Fraktionen schäumen: Die Störaktionen im Bundestag am Mittwoch werden möglicherweise ein strafrechtliches Nachspiel haben – nicht nur für die Störer.

Rüpeleien, Provokationen, Regelbrüche – und nun möglicherweise auch gezielte Rechtsverstöße: Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 ist das Klima dort spürbar rauer geworden. Vorläufiger Höhepunkt: die Zwischenfälle bei den Beratungen über das Infektionsschutzgesetz am Mittwoch.

Sie begannen mit einer unzulässigen Plakataktion der Fraktion im Plenarsaal und gipfelten im Bedrängen und Beleidigen von Politikern wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) durch Besucher, die von AfD-Abgeordneten eingeladen waren.

Es sind Vorgänge wie diese, die den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, sagen lassen: «Die AfD betreibt Parlamentssabotage.» Buschmann sitzt im Plenarsaal direkt neben den AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland. Er hört Vieles, was auf den Besuchertribünen und in Fernsehübertragungen nicht mehr zu hören ist. «Was man an Getuschel, Gezischel und Zurufen aus der AfD-Fraktion mitbekommt, ist unerträglich», sagt der FDP-Mann.

Oft bleibt es nicht beim Gezischel. Ein Beispiel: Als der Bundestag im Mai vergangenen Jahres über das 70-jährige Bestehen des Grundgesetzes debattiert, greift der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner – damals noch Vorsitzender des Rechtsausschusses – den auf der Gästetribüne sitzenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier an. Der Rechtsstaat werde von den anderen Parteien immer mehr «ignoriert, gebogen und mit den Füßen getreten», behauptet Brandner. Und zwar auf nahezu allen Ebenen. «Fangen wir ganz oben an, beim Staatsoberhaupt.» Das wird dann auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zu viel: Er ruft Brandner zur Mäßigung auf.

Weibliche Abgeordnete berichten auch von sexistischer Anmache aus den Reihen der AfD-Fraktion. Bisweilen geschieht diese ganz offen. Als die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann einmal mit schwarzer Lederjacke unterwegs ist, wird sie vom AfD-Abgeordneten Jürgen Braun gefragt, ob sie jetzt die Peitsche heraushole – worauf sie kontert: «Haben Sie Notstand zu Hause?»

Am Mittwoch setzt die AfD noch einen drauf. Als Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ans Rednerpult tritt, holen große Teile der Fraktion im Plenarsaal weiße Plakate hinter ihrer Abgeordnetenbank hervor, auf denen «Grundgesetz» steht, darüber ein schwarzer Trauerflor mit einem Kreuz und dem Datum 18.11.2020. Nur zögerlich kommen die Abgeordneten der Aufforderung Schäubles nach, diese Aktion sofort zu beenden. Diese war vorher besprochen worden.

Anders verhält es sich wohl mit den Besuchern, die etwa zeitgleich auf den Gängen des Reichstagsgebäudes Abgeordnete, darunter Wirtschaftsminister Altmaier aggressiv ansprechen, bedrängen, filmen und beleidigen. Nach einem Sicherheitsbericht der Bundestagspolizei dringen sie auch in ein Abgeordnetenbüro ein. Dem Bericht zufolge wurden die insgesamt vier Störer, darunter Youtuber, von den drei AfD-Abgeordneten Udo Hemmelgarn, Petr Bystron und Hansjörg Müller eingeladen.

Schon mehrfach hatten sich zuvor AfD-Abgeordnete als Türöffner für Störer, rechte Blogger, AfD-freundliche Bürgerjournalisten und rechts-alternative Medien betätigt. Unter anderem lud die Fraktion bereits zweimal zu einem «Kongress der Freien Medien» in den Bundestag ein. Ziel dieser Veranstaltungen war es unter anderem, das zu geißeln, was die AfD als «Mainstream-Journalismus» bezeichnet.

Bystron teilt am Donnerstag mit, nach einer internen Prüfung habe sich herausgestellt, dass auch eine der vier an den Störungen Beteiligten ohne sein Wissen über seinen Büroleiter angemeldet worden sei. Und Müller sagt auf Anfrage, er habe zwar drei Gäste in seinem Büro empfangen. Diese hätten sich aber «gesittet» verhalten. Müller selbst hatte sich zeitweise an der Kundgebung am Brandenburger Tor beteiligt. «Ich war nicht derjenige Abgeordnete, der Leute hereingelassen hat, die Rabauken gespielt haben», betont er.

Auch die Fraktionschefs Weidel und Gauland äußern am Donnerstag ihr Bedauern über das «inakzeptable Verhalten» der Besucher und bekräftigen zugleich: «Zu keinem Zeitpunkt hat die AfD-Fraktion jedoch Gäste mit dem Ziel in den Bundestag eingeladen, den parlamentarischen Ablauf zu stören oder Abgeordnete an der Ausübung ihres Mandates zu behindern.»

Kann es wirklich sein, dass AfD-Abgeordnete einschlägig bekannte Besucher zu einer absehbar brisanten und von massivem Straßenprotest begleiteten Debatte in den Bundestag einladen, ohne sich Gedanken zu machen, was diese vorhaben? Die im Nachhinein zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit könnte einen tieferen Grund haben: Möglicherweise haben sie sich selbst strafbar gemacht.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki jedenfalls sieht in den Vorfällen im Zusammenhang mit der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz einen Fall von Nötigung. In Betracht komme eine Straftat nach Paragraf 106 StGB (Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans), «zu der Abgeordnete auch Anstiftung oder Beihilfe leisten können». Der FDP-Politiker und erfahrene Jurist fordert: «Dies wird ernsthaft zu prüfen sein.» Genau diesen Weg beschließt der Ältestenrat des Bundestags am Donnerstag.

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