Nach der Auflösung der Blockade im Suezkanal rechnen europäische Häfen mit einem großen Andrang von Containerschiffen.
Die Kapazität von Europas größtem Hafen in Rotterdam werde unter Druck kommen, sagte ein Sprecher in Rotterdam. Man könne die Infrastruktur nicht beliebig erweitern. «Wir müssen mit dem auskommen, was wir haben an Kais, Kränen und Terminals.»
Auch die Hamburger Hafenbehörde bereitet sich vorsorglich auf die Ankunft zahlreicher Schiffe vor. «Nach der Wiederaufnahme des Verkehrs im Suezkanal ist zeitlich versetzt von einer Peak bei Anläufen von Großcontainerschiffen auszugehen», sagte ein Sprecher der Hamburg Port Authority (HPA) am Dienstag.
Der querstehende Riesenfrachter «Ever Given» hatte den Suezkanal knapp eine Woche lang blockiert. Das 400 Meter lange Containerschiff war am Dienstag vergangener Woche wegen eines Sandsturms auf Grund gelaufen. Am Montagnachmittag wurde es wieder flottgemacht. Nach Angaben der ägyptischen Kanalbehörde hatten sich an beiden Kanalenden fast 370 Schiffe aufgestaut. Bis Dienstagmorgen passierten wieder 113 Schiffe den Suezkanal, wie der Leiter der Kanalbehörde, Osama Rabie, im Fernsehen sagte. Weitere 140 sollten demnach bis zum Abend über die Wasserstraße fahren.
In Hamburg stellte sich der Hafen «auf eine höhere Auslastung unserer Anlagen ein», wie ein Sprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) am Dienstag sagte. So werde etwa zur Lagerung von Export-Containern eine zusätzliche Fläche von rund 100.000 Quadratmetern aktiviert.
Nach Einschätzung des Terminalbetreibers Eurogate wird sich der zu erwartende Andrang nur durch Umverteilung auf verschiedene Häfen auflösen lassen. Wenn alle Schiffe in ihren ursprünglichen Zielhafen wollten, «wird das nicht klappen», sagte ein Sprecher in Bremen. Die Entscheidung, wohin ihre Schiffe fahren sollen, liege aber bei den Reedereien. Eurogate betreibt in Deutschland drei Containerterminals in Bremerhaven sowie je ein Terminal in Wilhelmshaven und Hamburg.
Der Schiffsverkehr in den deutschen Containerhäfen in den kommenden Tagen und Wochen sei in dieser Lage schwer zu prognostizieren, sagte der Sprecher. Zunächst stelle sich die Frage im Mittelmeer. Die dortigen Häfen seien für Containerschiffe aus Asien meist die erste Anlaufstation in Europa. Danach gehe es um die Verteilung der Schiffe im Norden Europas.
Dem Rotterdamer Hafensprecher zufolge sind etwa 60 Schiffe, die bisher wegen der Havarie der «Ever Given» im Suezkanal festlagen, nun unterwegs nach Rotterdam. Zusätzlich laufe der übrige Verkehr weiter.
Die deutsche Industrie hatte wegen der Blockade vor Engpässen und Druck auf ihre Lieferketten gewarnt. Der Suezkanal ist unter anderem für die Chemie- und Autoindustrie eine wichtige Handelsroute: Er verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer und bietet damit den kürzesten Weg zwischen Asien und Europa. 2020 durchfuhren nach Angaben der Kanalbehörde fast 19.000 Schiffe den Kanal.
Auch für die Versicherungsbranche kann die mehrtägige Blockade teuer werden. Nach Einschätzung der Allianz in München sind eine ganze Reihe verschiedener Schadensmeldungen und -ansprüche denkbar. Dazu gehören unter anderem mögliche Ansprüche der Kanalbetreiber und Ansprüche der vielen Schiffe, die tagelang im Kanal festsaßen, schreibt Régis Broudin, der für Seefahrtschadenmeldungen zuständige Manager der Allianz-Tochter AGCS.
Die Ratingagentur Fitch geht davon aus, dass am Ende bei den Rückversicherern weltweit Ansprüche in dreistelliger Millionenhöhe auflaufen könnten. Laut Fitch können die Rückversicherungen die finanziellen Folgen jedoch gut verkraften, unter anderem, weil nach Einschätzung der Ratingagentur steigende Preise in der Rückversicherung eine Folge des Staus sein werden.
Zunächst ist die «Ever Given» versichert, die 20.000 Container transportiert. Derzeit wird geprüft, ob Rumpf und Maschinen beschädigt wurden. Die Kanalbehörde könnte nach Einschätzung der Allianz unter Umständen Schadenansprüche wegen einer Beschädigung des Kanals und entgangener Einnahmen anmelden. Abgesehen von den vielen unterschiedlichen Beteiligten in der Schifffahrtsbranche, sind auch Schadensmeldungen der Unternehmen möglich, die Ware und Produkte über eines der verspäteten Schiffe verschickt haben – beziehungsweise nun als Empfänger auf verspätete Lieferungen warten.
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