Neue Steuerschätzung: Scholz sieht Licht im Corona-November

Die Corona-Krise kostet den Staat Milliarden an Steuereinnahmen. Trotzdem bemüht sich der Vizekanzler um Optimismus: Im Sommer hatte man schließlich noch Schlimmeres befürchtet. Was hilft? «Vertrauen», meint Scholz.

Der Vizekanzler malt das Bild eines trüben Novembers: Das Wetter mies, Restaurant und Theater geschlossen, Kontakte zu Freunden und Familie eingeschränkt, das Virus «fies».

«Allerdings», sagt Olaf Scholz, «der Blick nach vorne geht in die Sonne». Die Aussichten seien gut, dass Deutschland mit einem blauen Auge durch die gesundheitliche und wirtschaftliche Corona-Krise komme.

Unerschütterlicher Optimismus auch in schlechten Lagen ist ein Markenzeichen des SPD-Politikers – diesmal ist er unterlegt mit den Prognosen der Steuerschätzer, die am Donnerstag vorgestellt wurden. Obwohl die Pandemie das Leben gerade wieder stärker einschränkt, können Bund, Länder und Kommunen in den nächsten Jahren demnach mit etwas mehr Steuereinnahmen rechnen, als man noch im Spätsommer vermutete. Doch wahr bleibt auch: Die Corona-Delle in den Staatshaushalten ist riesig.

Die nackten Zahlen: Im laufenden Jahr werden voraussichtlich 10,6 Milliarden Euro mehr in die Kassen kommen als gedacht, im kommenden Jahr sind es 3,4 Milliarden Euro mehr. Auch 2022 könnte besser laufen als bisher vorhergesagt.

Grund für die verhaltend positiven Prognosen ist vor allem die wirtschaftliche Entwicklung im Sommer und Spätsommer. Viele Unternehmen erholten sich schneller als gedacht, das Bruttoinlandsprodukt stürzte nicht ganz so heftig ab wie befürchtet. Für 2021 rechnet Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einem Aufschwung – vorausgesetzt, eine weitere Ausbreitung des Coronavirus kann verhindert werden.

Für den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz hat vor allem eines den Unterschied gemacht: Vertrauen. «Die wichtigste Botschaft, neben allem anderen, ist das Vertrauen darin, dass wir gemeinsam durch diese schwierige Zeit kommen», sagte er. Bürger und Unternehmen glaubten daran, dass die Lage wieder besser werde. Deswegen hätten sie nicht auf bessere Zeiten gewartet, sondern weiter Geld ausgegeben und investiert, sagte Scholz. Das zeige auch, dass die Konjunkturprogramme der Bundesregierung gewirkt hätten.

Doch der Optimismus des Vizekanzlers kann eines nur schlecht übertünchen: Die Krise mit den milliardenschweren Hilfspaketen reißt riesige Löcher in die Staatskassen – wahrscheinlich über Jahre. Erstmals seit der Finanzkrise 2009 sind die Steuereinnahmen in diesem Jahr im Sinkflug. Die Schätzer gehen davon aus, dass rund 71 Milliarden Euro weniger reinkommen als im vergangenen Jahr – ein Minus von 8,9 Prozent. Auch für 2021 hatten die Experten vor der Pandemie noch Steuereinnahmen von rund 845 Milliarden Euro erwartet – jetzt stehen gerade einmal 776,2 Milliarden in der Prognose. Scholz wertet das inzwischen schon als gute Nachricht.

Der Finanzminister hat nun also etwas mehr Geld, das er im kommenden Jahr mit dem Bundeshaushalt verteilen könnte. Bisher plant er neue Kredite über rund 96 Milliarden Euro aufzunehmen, um die Folgen der Krise etwa auf Jobs abzufedern. Ob angesichts der Steuerschätzung etwas weniger Schulden nötig sein könnten, ließ er offen. Sein Haushaltsentwurf liegt inzwischen in der Hand des Parlaments. Da wolle und könne er sich nicht einmischen, sagte Scholz. Zugleich aber machte er klar: Jetzt ganz ohne Neuverschuldung zu planen wäre «unverantwortlich».

Bereits für das laufende Jahr hat der Bundestag frische Kredite von fast 218 Milliarden Euro genehmigt, vor allem zur Finanzierung der Hilfspakete mit Mehrwertsteuersenkung, Familienbonus und Unterstützung für stark getroffene Unternehmen. Das würde Rekordschulden bedeuten. Doch ob das Geld wirklich komplett gebraucht wird, ist umstritten – auch weil manche Hilfen nicht so abfließen, wie man gedacht hatte. Seriös sei noch nicht zu sagen, «wie viel Geld wir am Ende gebraucht haben werden», sagte Scholz.

Immer wieder betont der Vizekanzler derzeit, der Bund habe die finanzielle Kraft, alles Nötige gegen die Corona-Pandemie zu tun – und notfalls bei Hilfsprogrammen auch nochmal nachzulegen. Scholz ist notfalls auch bereit, über 2021 hinaus Schulden aufzunehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte allerdings zuletzt, die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse müsse für die zukünftigen Jahre die Leitschnur bleiben.

Selbst Unions-Haushälter Eckhardt Rehberg (CDU) sieht das allerdings als «großer Herausforderung». «Die Haushaltslage des Bundes bleibt weiter angespannt. Geringfügige Mehreinnahmen ändern nichts am Gesamtbild», kommentierte er die Steuerschätzung. Die FDP forderte deshalb, Ausgaben zu streichen. «Stattdessen geben Union und SPD das Geld jeder weiter aus, als gäbe es kein Morgen mehr», kritisierte Haushälter Otto Fricke.

Kürzen jedoch will Scholz nicht – eher dafür Wohlhabende stärker in die Pflicht nehmen, ähnlich wie das Linke und Grüne fordern. Die Wirtschaft warnte jedoch genau davor: «Diskussionen um Steuererhöhungen sind Gift in einer Wirtschaftskrise», betonte der Bundesverband der Deutschen Industrie noch während Scholz seine Zahlen präsentierte.

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