Angesichts der Kämpfe in Äthiopien hat die EU-Kommission vor einer humanitären Katastrophe in dem Land gewarnt.
«Die militärische Eskalation in Äthiopien bedroht die Stabilität des ganzen Landes und der Region», sagte der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vor dem Hintergrund einer Militäroffensive der Zentralregierung gegen die Regionalregierung der Provinz Tigray. Das Risiko, dass die Gewalt sich ausbreite, sei sehr real. «Ich fürchte, dass diese Krise katastrophale humanitäre Folgen für das ganze Land hat.»
Schon vor der Krise seien rund drei Millionen Menschen in Tigray und 15 Millionen Menschen im gesamten Land auf humanitäre Hilfe angewiesen gewesen, sagte der EU-Kommissar. Er verwies auch auf 100.000 Flüchtlinge, die Äthiopien aufgenommen habe. Lenarcic forderte die äthiopische Regierung auf, den Hilfsorganisationen Zugang zur Region Tigray zu gewähren. «Schneller und bedingungsloser Zugang ist dringend nötig.»
In einer gemeinsamen Mitteilung erklärten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Lenarcic, sofortige Deeskalation sei notwendig. Alle Parteien sollten Zurückhaltung üben und ihre Aufrufe zur Vermeidung der Aufstachelung zu Hass und Gewalt bekräftigen.
Die Äthiopien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Annette Weber, sagte dem RND: «Wenn sich der Konflikt regional ausweitet, würde das zu großen Migrationsschüben auch nach Europa führen.» Es bestehe unter anderem das Risiko, dass das Nachbarland Sudan wieder destabilisiert werde. «Alle Beobachter in der Region sind sehr nervös.» Niemand gehe davon aus, dass Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali den Krieg gewinnen könne.
Zuvor hatten auch bereits internationale Helfer vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. «Tigray ist von allen Nachschubwegen abgeschottet», sagte Matthias Späth, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Äthiopien, der Deutschen Presse-Agentur. Demnach gibt es in der Region im Norden Äthiopiens ohnehin mindestens 600.000 chronisch mangelernährte Menschen. Diese seien wie die restliche Bevölkerung nun für Helfer nicht erreichbar. Man könne nur mutmaßen, wo die schweren Kämpfe stattfänden und wo Hilfskorridore eingerichtet werden könnten, sagte Späth.
Äthiopiens Regierung hatte nach Monaten der Spannungen mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) vor einer Woche eine Offensive gegen die Rebellengruppe und Regierungspartei von Tigray begonnen. Wenig ist über die Lage vor Ort bekannt, da Internet und Telefonverbindungen unterbrochen und laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) die Straßen blockiert und die Stromversorgung gekappt sind.
Die TPLF war die dominante Partei in der Parteienkoalition, die Äthiopien mehr als 25 Jahre lang mit harter Hand regierte. Doch als Abiy 2018 an die Macht kam, entfernte er im Zuge von Reformen viele Funktionäre der alten Garde und gründete eine neue Partei ohne die TPLF. Die TPLF und viele Menschen in Tigray fühlen sich von der Zentralregierung nicht vertreten und wünschen sich größere Autonomie. Unter Abiy – der im Vorjahr den Friedensnobelpreis erhielt – haben die ethnischen Konflikte in dem Vielvölkerstaat Äthiopien mit seinen rund 112 Millionen Einwohnern zugenommen.
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