Festnahmen bei Corona-Protest – Spahn wirbt um Vertrauen

Wasserwerfer, Festnahmen – trotzdem dauert es Stunden bis sich die Kundgebungen der Gegner der Corona-Regeln in Berlin langsam auflösen. Im Bundestag zeigen AfD-Abgeordnete Plakate. Die Regierungsparteien betonen, es gehe nicht darum, staatliche Befugnisse auszuweiten.

Proteste und Festnahmen auf der Straße, harte Debatten im Saal: Während die Polizei im Berliner Regierungsviertel versucht hat, hartnäckige Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen auseinanderzutreiben, verteidigten Vertreter von Union und SPD die Reform des Infektionsschutzgesetzes.

Die Oppositionsparteien kritisierten in der Debatte am Mittwoch Fehler im Gesetz. Die AfD scheiterte mit dem Versuch, die Reform ganz zu verschieben. Die Reform des Infektionsschutzgesetzes nahm im Bundestag die erste Hürde. Eine Mehrheit von 415 Abgeordneten stimmte für die Reform, mit der die Corona-Maßnahmen künftig auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. 236 Abgeordnete stimmten dagegen, 8 enthielten sich, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mitteilte.

Die Polizei setzte auf der Straße unterdessen Wasserwerfer ein, um Tausende Demonstranten zum Gehen zu bewegen. Diese hatten zuvor ihre Aufforderungen, Abstand zu halten und Mund-Nase-Schutz zu tragen, ignoriert. Laut Polizei wurden bis zum Nachmittag mehr als 100 Menschen festgenommen. Man sei im dreistelligen Bereich, Fälle von kürzeren Freiheitsbeschränkungen eingerechnet, sagte eine Sprecherin.

Die Polizei versuche, langsam mit Wasserwerfern vorzurücken, um den Platz vor dem Brandenburger Tor frei zu bekommen, schilderte die Sprecherin. Die Demonstranten seien «absolut hartnäckig». Die Auflösung des Protests brauche Zeit, da zum Beispiel auch Kinder vor Ort seien. «Es geht nur langsam, nicht martialisch.» Nach mehreren Stunden begann sich der Protests laut einem dpa-Reporter langsam aufzulösen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warb im Bundestag um weiteres Vertrauen in das Krisenmanagement. Steigende Infektionszahlen führten früher oder später zu steigendem Leid auf den Intensivstationen und zu einem Kontrollverlust, sagte der CDU-Politiker. Die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas wies Befürchtungen zurück, mit der Reform würden Befugnisse für Bundes- und Landesregierungen ausgeweitet würden. «Genau das Gegenteil ist der Fall», sagte sie.

Zum Auftakt der Plenardebatte hatte die AfD zunächst versucht, das Thema wieder von der Tagesordnung zu nehmen, scheiterte damit aber am geschlossenen Widerstand der anderen Fraktionen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, kritisierte, die Koalition habe den Abgeordneten nicht genügend Zeit für Prüfung und Debatte geblieben sei. «Die heutige Gesetzesvorlage ist eine Ermächtigung der Regierung, wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr gab», sagte er.

Abgeordnete der anderen Fraktionen wiesen die Vorwürfe zurück. Das Verfahren sei geordnet und das Parlament «massiv beteiligt» gewesen, sagte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. Das Gesetz werde das Parlament in der Corona-Pandemie stärken. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, warf der AfD vor, sie wolle nur Krawall machen.

Redner von FDP, Grünen und Linkspartei kritisierten die Reform des Infektionsschutzgesetzes dennoch. Die geplanten Neuregelungen gäben den Regierungen keine Leitplanken vor, sondern stellten ihnen «einen Freifahrtschein» aus, sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner.

Ziel der Gesetzesänderung ist es vor allem, bislang per Verordnung erlassene Corona-Maßnahmen gesetzlich zu untermauern und konkret festzuschreiben. Im Infektionsschutzgesetz war bisher nur allgemein von «notwendigen Schutzmaßnahmen» die Rede, die die «zuständige Behörde» treffen kann. Mit der Gesetzesnovelle wird nun ein neuer Paragraf eingefügt, der mögliche Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet.

Im wesentlichen handelt es sich um die Maßnahmen, die bereits im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim Teil-Lockdown im November gelten. Vorgeschrieben wird aber auch, dass die Rechtsverordnungen zeitlich zu befristen und zu begründen sind. Ihre Geltungsdauer soll vier Wochen betragen und kann verlängert werden.

Mit Blick auf den Teil-Lockdown mit Schließungen vieler Einrichtungen im November sagte Spahn: «Wir haben Tritt gefasst.» Das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen sei gestoppt, «aber wir sind noch nicht über den Berg». Spahn betonte, dass Deutschland auch deshalb recht gut durch die Krise komme, weil die allermeisten Bürger auf sich und ihre Mitmenschen achteten.

Als Spahn zu seiner Rede ansetzte, hielten Abgeordnete AfD-Fraktion im Plenarsaal Plakate hoch, auf denen «Grundgesetz» stand – sowie ein schwarzer Trauerflor mit dem Datum «18.11.2020». Die AfD-Abgeordneten folgten zügig der Aufforderung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, die Schilder zu entfernen. Einen Ordnungsruf gab es nicht. Aktionen dieser Art sind im Plenarsaal nicht gestattet.

In Sichtweite des Bundestages ließ es die Polizei derweil aus Wasserwerfern auf Demonstranten regnen, die ihren Anordnungen nicht Folge leisten wollten. Die Berliner Polizei, die in der Regel keine Wasserwerfer einsetzt, schrieb auf Twitter von «Sprühnebel». Am Rande der Proteste kam es vereinzelt zu Rangeleien zwischen Einsatzkräften und Demonstranten.

Die Polizei teilte auf Twitter mit, Einsatzkräfte «wurden mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen sowie mit Pfefferspray angegriffen. Sie setzten ihrerseits körperlichen Zwang sowie Pfefferspray ein und nahmen einige Angreifende fest.»

Mehrere angemeldete Demonstrationen direkt vor dem Reichstagsgebäude im sogenannten befriedeten Bezirk hatte das Bundesinnenministerium mit Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Parlamentsarbeit verboten.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte angekündigt, die Corona-Regeln bei den Demonstrationen mit allen zulässigen Mitteln durchzusetzen. Es gehe darum, die Verbreitung des Virus einzudämmen.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse geriet am Rande der Proteste mit der Polizei aneinander. Hilse sagte in einem Video, das von Mitgliedern seiner Fraktion verbreitet wurde, er habe zwar ein ärztliches Attest bei sich getragen, das ihn von der Maskenpflicht entbinde. Die Polizei habe jedoch moniert, dass darin keine konkrete Krankheit aufgeführt sei. Als er dann ein Video habe machen wollen, sei es zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen. Der 55-Jährige sagte, er finde es «absurd», wenn wegen einer Ordnungswidrigkeit so reagiert werde. Die Berliner Polizei twitterte, ohne Nennung von Namen, Beamte hätten einen Mann angesprochen, der gegen die Maskenpflicht verstoßen habe. «Er zeigte sich unkooperativ, wies sich als MdB aus, soll anschließend seinen Begleiter zum Filmen aufgefordert & dann Widerstand geleistet haben.»

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, schrieb auf Twitter: «Die AfD hat Personen ins Reichstagsgebäude eingeschleust, die Abgeordnete bedrängen und ihnen die Handykamera ins Gesicht halten. Ich empfinde diese Versuche der Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens als absolut unerhört. Das gehört unterbunden.»

Am 29. August hatten am Rande einer großen Demonstration mit vielen Zehntausend Teilnehmern in Berlin mehrere hundert Menschen Absperrgitter vor dem Reichstagsgebäude überwunden. Sie liefen die Treppe hoch und bauten sich triumphierend vor einem Eingang auf. Die Bilder sorgten für Aufsehen und Empörung bei den meisten Parteien.

In Leipzig hatten sich vor knapp zwei Wochen mindestens 20.000 Demonstranten versammelt. 90 Prozent der Teilnehmer trugen laut Polizei keine Masken. Die Kundgebung wurde aufgelöst, danach erzwangen die Demonstranten einen Gang über den Leipziger Ring. Die Polizei konnte sie nicht stoppen. Es kam zu Rangeleien, Böller flogen. Unter den Demonstranten waren auch Gruppen von Neonazis.

«Kritik soll und muss in einer Demokratie immer möglich sein», betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Die Versammlungsfreiheit sei eines der höchsten Verfassungsgüter. «Die Grenze der zulässigen Grundrechtsausübung ist aber erreicht, wenn man sie missbraucht.»

Einen Vergleich der Novelle des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933, den manche Kritiker ziehen, wies Demmer zurück. Damals hatte sich der Reichstag selbst entmachtet und die Gesetzgebung auf Reichskanzler Adolf Hitler übertragen. Sie sagte über das Infektionsschutzgesetz: «Es schafft begrenzte und befristete Rechtsgrundlagen für das Regierungshandeln. Rechtsgrundlagen, die ja das Parlament selbst auch jederzeit wieder ändern kann.»

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