Nato-Generalsekretär erwartet auch von Biden Druck

In vielen Nato-Staaten wurde nach der Wahlniederlage von US-Präsident Trump aufgeatmet. Aber wird mit dem künftigen Chef im Weißen Haus wirklich alles anders? Nato-Generalsekretär Stoltenberg warnt vor zu großen Hoffnungen. Und dann gibt es auch noch Afghanistan.

Der künftige US-Präsident Joe Biden wird nach Einschätzung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wie Donald Trump auf höhere Verteidigungsausgaben der europäischen Bündnispartner pochen.

Der noch amtierende Präsident Trump habe «seinen eigenen Stil» gehabt und seine Erwartungen an die Europäer «ziemlich klar» ausgedrückt. «Aber ich bin sicher, dass der gewählte Präsident Biden die gleiche Erwartung an die europäischen Partner äußern wird», sagte Stoltenberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Allerdings sei er sich sicher, dass die Nato mit Biden einen «starken Unterstützer der Allianz» bekomme.

Stoltenberg und Biden sprachen am Montag erstmals miteinander, seit der Demokrat zum nächsten US-Präsidenten gewählt wurde. Stoltenberg habe Biden zum Wahlsieg gratuliert und ihm gesagt, dass er sich auf eine enge Zusammenarbeit freue, um die Verbindung zwischen Nordamerika und Europa weiter zu festigen, teilte das Verteidigungsbündnis im Anschluss mit.

Biden habe versichert, dass die USA der Nato einschließlich der gegenseitigen Beistandspflicht nach Artikel 5 weiterhin verpflichtet seien, erklärte das Übergangsteam des erfahrenen Außenpolitikers. Biden wolle mit Stoltenberg und den Bündnispartnern zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Nato über die strategische Ausrichtung und Fähigkeiten verfüge, um die Abschreckung zu verstärken und neuen Bedrohungen wie dem Klimawandel und gesundheitlichen Gefahren für die ganze Welt zu begegnen.

Unter Trump hat das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Nato merklich Schaden genommen. Trump ließ ohne Rücksicht auf die Folgen mehrfach Zweifel daran aufkommen, ob die USA im Ernstfall ihrer Verpflichtung zum militärischen Beistand nachkommen würden. Hinzu kamen nicht abgesprochene Ankündigungen für Truppenrückzüge aus Deutschland und zuletzt aus Afghanistan und dem Irak.

Mit Spannung wird nun erwartet, wie Biden sich zur Zukunft des Ausbildungseinsatzes der Nato in Afghanistan positioniert. Wie Stoltenberg am Montag in einer Rede vor Parlamentariern aus den 30 Bündnisstaaten sagte, wird das Bündnis bei einem Verteidigungsministertreffen im Februar eine Entscheidung über die Fortsetzung treffen. Trump wollte den Einsatz zur Unterstützung der afghanischen Regierung eigentlich bis Mai kommenden Jahres beenden. Er setzt dabei darauf, dass US-vermittelte Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den militant-islamistischen Taliban zu einem Erfolg führen.

Etliche Alliierte haben aber starke Zweifel daran und verweisen darauf, dass die Taliban bislang die Voraussetzungen für einen Truppenabzug nicht erfüllt haben. Gleichzeitig sind sie aber auch nicht bereit oder in der Lage, den Afghanistan-Einsatz ohne die USA fortzuführen. Er war 2001 in Folge der Terroranschläge gegen die USA begonnen worden. Stoltenberg sprach sich am Montag vor den Abgeordneten dafür aus, im Zweifelsfall lieber länger in Afghanistan zu bleiben. Das Land dürfe nicht wieder ein Rückzugsort für Terroristen werden, sagte er.

Im Interview der Funke Mediengruppe warnte Stoltenberg auch erneut vor Überlegungen, wegen des finanziellen Drucks durch die Corona-Krise das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel in Frage zu stellen. Dieses sieht vor, dass die Bündnispartner jährlich zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke ausgeben.

«Die wichtigste Aufgabe der Nato ist zu verhindern, dass die Corona-Gesundheitskrise eine Sicherheitskrise wird. Deshalb müssen wir weiter mehr investieren», sagte der Norweger. Die Bedrohungen und Herausforderungen in Sicherheitsfragen seien während der Pandemie nicht weniger geworden.

Gleichzeitig warnte Stoltenberg in der Debatte um eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik vor einer Schwächung der Nato und der Spaltung Europas. «Tatsache ist, dass die Europäische Union nicht Europa verteidigen kann.» Die US-Sicherheitsgarantien, die nukleare Abschreckung und die Präsenz von US-Truppen in Europa seien «absolut notwendig für die Verteidigung Europas».

Zuvor hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit der Forderung nach einer «strategischen Autonomie» Europas eine kritische Debatte angestoßen. «Jeder Versuch, die Bindung zwischen Nordamerika und Europa zu schwächen, wird nicht nur die Nato schwächen – sie wird auch Europa spalten», betonte Stoltenberg.

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