Zu Beginn eines neuen Prozesses in der Türkei hat der inhaftierte Intellektuelle Osman Kavala die Vorwürfe gegen ihn scharf kritisiert. Für keine der Anschuldigungen könnten glaubwürdige Beweise vorgebracht werden, sagte Kavala am Freitag beim Prozessauftakt in Istanbul.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm politische oder militärische Spionage sowie einen Umsturzversuch im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom Juli 2016 vor. Das Gericht entschied auf Antrag der Staatsanwaltschaft, dass Kavala weiterhin in Untersuchungshaft bleiben muss. Die Verhandlung soll am 5. Februar fortgesetzt werden.
Tolga Deniz Aytöre, ein Anwalt Kavalas, kritisierte die Anklageschrift. Sie konstruiere eine Verschwörung. Die Anwälte hatten erneut die Freilassung Kavalas gefordert. Auch die Organisation Human Rights Watch nannte die neue Anklage in einer Mitteilung «politisch motiviert» und «juristisch unglaubwürdig».
Kavala selbst war der Verhandlung, in der eine Reihe von Zeugen befragt wurde, per Video zugeschaltet. Zum Prozess erschienen neben Journalisten und Mitgliedern von Nichtregierungsorganisationen auch diplomatische Vertreter verschiedener Staaten.
«Dass nun endlich der Prozess gegen ihn beginnt, ist kein Grund zur Entwarnung, sondern Anlass, den Druck auf die Türkei deutlich zu erhöhen, damit Kavala endlich freikommt», teilten die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir zum Prozessbeginn mit.
Kavala sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft. Er war im Februar zunächst von dem Vorwurf eines Umsturzversuchs im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 freigesprochen worden, blieb aber wegen eines neuen Haftbefehls im Gefängnis. Auch die Gezi-Proteste werden in der Anklageschrift mehrmals erwähnt.
Der Fall ist über die Türkei hinaus ein Politikum. Mitangeklagt ist auch der US-Akademiker Henri Barkey.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte in einem Urteil vom Dezember 2019 entschieden, dass es keine ausreichenden Gründe für Kavalas Haft gebe und er mit der Inhaftierung zum Schweigen gebracht werden solle. Urteile des EGMR sind für die Türkei als Mitglied des Europarats eigentlich bindend. Wegen der andauernden Haft hatte sich Kavala selbst an das türkische Verfassungsgericht gewandt. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.
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