«Auch das noch», «Das hat uns gerade noch gefehlt» oder schlicht: «Och nö». So oder so ähnlich dürften die Reaktionen auf die Coronavirus-Variante B.1.1.7 ausgefallen sein, die Experten in Großbritannien registriert haben.
Dass die Variante tatsächlich mit großer Wahrscheinlichkeit leichter übertragbar ist als bislang kursierende Formen von Sars-CoV-2, ist nun an neuen Daten zu sehen. Doch obwohl einige Experten annehmen, dass B.1.1.7 hierzulande bereits angekommen ist, schlagen sie nicht gerade Alarm.
«Ich glaube nicht, dass wir da bald ein größeres Problem kriegen», sagte etwa der Berliner Virologe Christian Drosten am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Es sei zwar recht wahrscheinlich, dass B.1.1.7 mittlerweile auch in Deutschland sei. «Aber bei den aktuellen Beschränkungen dürfte diese Variante hierzulande eher schwer Fuß fassen.» Darauf deuteten Daten hin, die die Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) veröffentlicht hat.
Dem Papier zufolge verbreite sich B.1.1.7. überall dort besonders schnell, wo unzureichende Beschränkungen zu einem Anstieg der Infektionszahlen führen, sagte Drosten. In Gegenden in Großbritannien aber, in denen wirksame Maßnahmen gelten, sei auch die neue Variante weitgehend unter Kontrolle. Für Deutschland folgert Drosten daher, dass der Lockdown der Variante wenig Chance auf Verbreitung lassen dürfte.
Bislang gebe es keine Hinweise darauf, dass die neue Variante einen Einfluss auf die Krankheitsschwere hat, ergänzte Drosten. «Das ist ganz wichtig für die Bevölkerung, die sich jetzt Sorgen macht.»
Zudem gebe es keine Anzeichen für einen verminderten Impfschutz durch B.1.1.7. Auch der Chef des Impfstoffherstellers Biontech, Ugur Sahin, bekräftigte am Dienstag, dass sein Präparat sehr wahrscheinlich auch gegen die neue Variante wirke.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO wies darauf hin, dass sich alle Viren mit der Zeit verändern. Dabei brächten die meisten dieser Mutationen dem Erreger keine direkten Vorteile, manchmal seien sie sogar hinderlich. Um die Auswirkungen einer spezifischen Mutation zu verstehen, seien aufwendige und zeitintensive Untersuchungen nötig.
PHE-Experten hatten am Montag ein Forschungspapier veröffentlicht, demzufolge B.1.1.7. sehr wahrscheinlich leichter übertragbar ist als andere Varianten. Dafür werteten sie Daten aus verschiedenen Regionen aus. Aus den PHE-Modellrechnungen könne man ableiten, dass die Reproduktionszahl – also die Zahl der Menschen, die ein Infizierter im Schnitt ansteckt – bei der neuen Variante je nach Ort um etwa 30 bis 40 Prozent erhöht ist, sagte Drosten. «Das ist erheblich.» Allerdings seien die Schätzungen unscharf und mit Vorsicht zu genießen.
Das PHE-Papier hatte Drosten auf Twitter zunächst mit dem Satz «Das sieht leider nicht gut aus» kommentiert. Später lieferte er aber eine differenziertere Betrachtung.
In Deutschland war das Virus laut Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, zunächst noch nicht nachgewiesen worden. Angekommen ist die Variante vermutlich trotzdem schon. «Die Wahrscheinlichkeit, dass sie schon in Deutschland ist, aber bisher unerkannt, schätze ich schon als sehr, sehr hoch ein», sagte Wieler am Dienstag in Berlin. Er verwies darauf, dass die Variante B.1.1.7 in Großbritannien bereits im September erstmals nachgewiesen wurde, zudem gebe es bereits Nachweise in Nachbarländern wie den Niederlanden und Dänemark.
Die Bedeutung der Variante für das Infektionsgeschehen sei noch nicht endgültig einzuschätzen, sagte Wieler. Dies werde genau beobachtet, es seien noch viele Fragen offen. Generell sei klar: Je mehr sich ein Virus verbreite, desto mehr Gelegenheit habe es, sich zu verändern.
Die neue Variante des Virus ist durch etwa 20 Mutationen in ihrem Erbgut charakterisiert. Die Mutation mit der Bezeichnung N501Y dürfte es leichter machen, in menschliche Zellen einzudringen und eine Infektion zu verursachen. Allerdings ist laut Drosten unklar, was der Variante den entscheidenden Vorteil bringt. So sei denkbar, dass man bei B.1.1.7. weniger Viren ausgesetzt sein muss, um ansteckend zu werden. Es sei aber auch möglich, dass die Variante dafür sorgt, dass ein Infizierter mehr Viren im Rachen hat und dadurch ansteckender ist.
Positiv zu werten sei, dass der neuen Variante ein bestimmtes Gen fehle, dass eigentlich die Krankheitsschwere verstärkt, sagte Drosten. «Das ist die gute Nachricht.» Es könnte also durchaus sein, dass B.1.1.7. harmloser ist. Möglicherweise sei das auch ein Grund für die schnellere Verbreitung, sagte Drosten. Denn Menschen ohne oder mit nur leichten Symptomen isolieren sich eher nicht und können dadurch vermehrt andere anstecken.
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