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Weihnacht ohne Christmette? Kirchen in der Zwickmühle

Je näher der Termin rückt, desto mehr Weihnachtsgottesdienste werden gestrichen. Einzelne Politiker fordern eine generelle Absage. Doch das lehnen die Kirchen ab – auch als Lehre aus dem Lockdown im Frühjahr.

Das Ruhrgebiet ist nicht gerade als Hochburg der katholischen Kirche bekannt. Doch kürzlich bildete sich vor der Klosterkirche in Oberhausen eine lange Warteschlange: Gemeindemitglieder standen an, um Platzkarten für die Heiligabend-Messen zu ergattern.

Gerade in der Corona-Zeit verspüren offenbar viele den Wunsch, am 24. Dezember die altbekannten Worte zu hören: «Es begab sich aber zu der Zeit…» Doch mittlerweile sind alle Präsenzgottesdienste in der Pfarrei abgesagt, denn Oberhausen hat die meisten Neuinfektionen in ganz Nordrhein-Westfalen.

So wie der Klosterkirche geht es derzeit vielen Gemeinden in ganz Deutschland, egal ob evangelisch oder katholisch. Sie haben sich teils wochenlang darauf vorbereitet, die Weihnachtsgottesdienste unter Einhaltung aller Hygieneregeln abzuhalten, und jetzt ist es vergebens. So werden zum Beispiel in ganz Nordrhein-Westfalen praktisch keine evangelischen Präsenzgottesdienste stattfinden. Zu gefährlich, sagt die Kirchenleitung.

Das besonders christlich geprägte Bayern muss auf spätabendliche Christmetten oder Mitternachtsmessen verzichten: Ab 21.00 Uhr gilt im Freistaat eine coronabedingte Ausgangssperre. Raus darf nur noch, wer einen wirklich triftigen Grund hat wie einen medizinischen Notfall.

Die Kirchen befinden sich in der Frage der Präsenzgottesdienste in einer Zwickmühle. Denn nach dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr war ihnen vorgeworfen worden, ihren Dienst viel zu bereitwillig eingestellt zu haben. Damit hätten sie die Gläubigen ausgerechnet in einer Krisenzeit im Stich gelassen. Die Kirche sei nicht da gewesen, als viele sie gebraucht hätten.

Dieser Vorwurf hat viele engagierte Christen hart getroffen. Auch deshalb sind die Kirchen entschlossen, es diesmal besser zu machen. Doch nun sehen sie sich umgekehrt mit dem Vorwurf konfrontiert, durch ihre Aktivität die Gesundheit der Bevölkerung zu gefährden.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab, dass jeder zweite Bundesbürger angesichts der hohen Infektionszahlen für ein Verbot der Weihnachtsgottesdienste eintritt. Ob man selbst gläubig ist oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle. Die Bereitschaft zum Besuch von Weihnachtsgottesdiensten ist der Umfrage zufolge sehr gering: Nicht mehr als sechs Prozent wollen dorthin gehen.

NRW-Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) hat die Kirchen aufgefordert, deutschlandweit alle Präsenzgottesdienste abzusagen. Die «völlig unabsehbare Entwicklung der Pandemie und die Nöte auf den Intensivstationen in vielen Teilen Deutschlands» machten dies unausweichlich.

Die Verbandschefin der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, Ute Teichert, verlangt gar ein Verbot von Präsenzgottesdiensten an Weihnachten: «Weil wir wissen, wie leicht sich das Virus gerade bei Gottesdiensten übertragen kann, dürfen wir zu Weihnachten angesichts der hohen Infektionszahlen kein zusätzliches Risiko eingehen», sagte sie den Funke-Zeitungen.

Während die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina keine Notwendigkeit zu weiteren Einschränkungen bei Weihnachtsgottesdiensten sieht, befürchtet Stamp Umarmungen vor der Kirche. Es ist schließlich Weihnachten, da wird man leicht etwas emotional.

Und es gibt noch ein Argument: Gerade unter den Älteren und damit am meisten Gefährdeten dürfte es noch Gläubige geben, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie an Weihnachten nicht in die Kirche gehen. Eine Absage könnte ihr Gewissen erleichtern. Die katholische Kirche hält allerdings dagegen, dass die sogenannte Sonntagspflicht zum Messbesuch schon zu Beginn der Corona-Krise ausgesetzt worden sei.

Der Kirchenhistoriker, Bestsellerautor und Leibnizpreisträger Hubert Wolf wirft die Frage auf, ob die Fokussierung auf Gottesdienste wirklich noch zeitgemäß ist – gerade angesichts der radikalen Veränderungen, die Corona bewirkt hat. «Von echter Kreativität, tatsächlich einmal «Stille Nacht» zu feiern, ist – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – nichts zu spüren», kritisiert der Münsteraner Professor im «Kölner Stadt-Anzeiger» die katholische Kirche.

Wobei es trotz aller Streichungen schon noch manch alternatives Angebot gibt. So will sich der evangelische Pastor Ulf Werner aus Hamburg an Heiligabend im Talar auf sein Lastenfahrrad schwingen und Weihnachten zu den Menschen bringen. Begleitet wird er von Mitgliedern des Gemeindechors, verkleidet als Rentiere.

«Ich werde beispielsweise sechs Kurzandachten in den verschiedenen Innenhöfen einer großen Seniorenwohnanlage halten, die Bewohner können vom Balkon aus teilnehmen, so ist durch die größeren Abstände noch mehr Sicherheit gewahrt», erzählt er. In düsteren Zeiten wolle er «etwas Hoffnungsleuchten verbreiten». Der Name der Aktion: «Klingel Bells».

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