Proteste und internationale Empörung nach Nawalny-Urteil

Der schärfste Gegner von Kremlchef Putin muss für Jahre ins Gefängnis. Das facht den Zorn seiner Anhänger in Russland zusätzlich an. Die Polizei geht erneut brutal gegen Demonstranten vor. Doch Nawalnys Anhänger wollen nicht lockerlassen.

Nach dem umstrittenen Urteil gegen den Kremlkritiker Alexej Nawalny wächst international der Druck auf Russland. Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Spitzenpolitiker forderten die sofortige Freilassung des Oppositionellen, der zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war.

«Das Urteil gegen Alexej Nawalny ist fernab jeder Rechtsstaatlichkeit», ließ Merkel mitteilen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannte die Haftstrafe einen Verstoß Russlands gegen seine internationalen Verpflichtungen. In der Hauptstadt Moskau kam es in der Nacht zum Mittwoch erneut zu Massenfestnahmen und Polizeigewalt.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung gingen Tausende Menschen auf die Straße. Bei Protestzügen durch das Zentrum Moskaus skandierte die Menge «Freiheit» und «Putin ist ein Dieb!». Die Demonstranten warfen Präsident Wladimir Putin vor, ihnen demokratische Freiheiten zu rauben. Die Sicherheitskräfte gingen brutal gegen die zumeist jungen Protestierenden vor und nahmen viele von ihnen über Stunden fest.

Bereits während der mehrstündigen Gerichtsverhandlung am Dienstag hatte die Polizei immer wieder Menschen in Gewahrsam genommen. Menschenrechtler sprachen von insgesamt fast 1400 Festnahmen. Zu sehen war in der Nacht, wie Sicherheitskräfte auf Demonstranten einschlugen und eintraten. Bereits am vergangenen Wochenende waren bei Kundgebungen nach Angaben des Portals «ovd-Info» landesweit mehr als 5500 Menschen festgenommen worden.

Proteste gab es auch in St. Petersburg im Norden des Landes. Dort hätten die Sicherheitskräfte ebenfalls viele Demonstranten in Polizeibusse gesteckt, meldete «ovd-Info». Medien berichteten, dass Polizisten bei Festnahmen erneut Elektroschocker eingesetzt hätten. Mindestens zwei U-Bahn-Stationen wurden zwischenzeitlich geschlossen.

Erneut gerieten auch Journalisten ins Visier der Einsatzkräfte. Es gab mehrere Festnahmen. In einem Video war zu sehen, wie ein Beamter der auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierten Sonderpolizei OMON auf einen Medienvertreter einschlug, der dann am Boden liegen blieb. Bereits am Sonntag gab es international Kritik wegen der Polizeigewalt.

Nawalny war im August in Sibirien Opfer eines Mordanschlags mit dem Nervengift Nowitschok geworden, für den er ein «Killerkommando» des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Putins Befehl verantwortlich macht. Putin und der FSB weisen das zurück.

Am Dienstag verurteilte ein Gericht in Moskau Nawalny zu dreieinhalb Jahren Straflagerhaft, weil er aus Sicht der Richterin mehrfach gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren aus dem Jahr 2014 verstoßen hatte. Nach Darstellung seiner Anwälte wird ihm womöglich ein früherer Hausarrest angerechnet. Dann müsste er zwei Jahre und acht Monate in ein Straflager und käme theoretisch im Oktober 2023 wieder frei. Die Verteidigung will das Urteil anfechten. Bis es in Kraft tritt, bleibt der Oppositionelle in Untersuchungshaft.

Nawalny nutzte seinen Auftritt vor Gericht, um Putin erneut als Verantwortlichen für den Mordanschlag auf ihn anzuprangern und als «Wladimir, der Vergifter der Unterhosen» zu verspotten. Der Oppositionelle rief die Menschen auf, trotz des Drucks ihre Angst zu überwinden. Er verlangte zudem die umgehende Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland. Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow kündigte an, den Druck auf Putin weiter zu erhöhen, um so Nawalnys Freilassung zu erreichen. Es werde neue friedliche Kundgebungen geben, schrieb er bei Facebook. Zudem kündigte er neue Enthüllungen an, ohne Details zu nennen.

Das Urteil gegen Nawalny wird auch im Ausland weithin als politisch motiviert betrachtet. «Ein politischer Dissens ist niemals ein Verbrechen», schrieb Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron auf Twitter. Bundesaußenminister Heiko Maas sprach von einem «herben Schlag gegen fest verbriefte Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit in Russland». Der britische Premier Boris Johnson schrieb auf Twitter, Nawalnys Entscheidung zur Rückkehr nach Russland nach seiner Genesung sei «mutig und selbstlos» gewesen. Das Urteil gegen ihn sei dagegen «reine Feigheit» und entspreche nicht den Mindeststandards der Justiz. Der tschechische Außenminister Tomas Petricek sprach von einem «Schauprozess» mit vorhersehbarem Ausgang, der die Opposition in Russland zum Schweigen bringen solle.

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