Mehr Tempo bei der E-Mobilität und das wachsende Geschäft mit Kundendaten sollen bei Volkswagen die nächsten Jahre bestimmen.
Die Kernmarke von Europas größtem Autokonzern legte am Freitag eine neue Strategie bis 2030 vor. Darin geht es vor allem um den weiteren Ausbau der Elektroflotte unter dem Druck verschärfter Klimaziele. Anders als etwa Volvo, Jaguar, Ford oder General Motors haben die Wolfsburger aber noch kein festes Datum für einen Abschied vom Verbrenner genannt. Über Downloads zusätzlicher Funktionen und eine Erweiterung der Steuerungssoftware in den Fahrzeugen sollen VW-Nutzer schrittweise in ein digitales Netzwerk eingebunden werden.
Der Hersteller will die beiden zentralen Themen Elektrifizierung und Digitalisierung stärker koppeln. In Europa sollen bis zum Ende des Jahrzehnts nun mindestens 70 Prozent der Verkäufe auf ausschließliche Stromer entfallen, wie VW-Chef Ralf Brandstätter ankündigte – eine Verdoppelung der bisher geplanten Absatzquote für batterieelektrische Modelle. Volkswagen hatte einen solchen Schritt bereits angedeutet.
Angesichts des EU-Ziels, den gesamten Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um wenigstens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, müssen etliche Autohersteller nacharbeiten. VW hatte die bestehenden Brüsseler Flottenziele im vergangenen Jahr knapp verfehlt, 2021 soll die Einhaltung jetzt dank weiterer E-Modelle klappen. Das Unternehmen lässt etliche Fahrzeuge zunächst auch als Firmenwagen oder über die eigenen Händler zu – was von der Umweltschutzorganisation Greenpeace als Schönung der CO2-Bilanz kritisiert wurde. In diesem Jahr soll die neue ID-Serie jedoch stärker in die Breite kommen. Global ist der VW-Konzern für etwa 1 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich.
Mit Blick auf die Langfrist-Strategie hatte es in Wolfsburg zunächst geheißen, dass allein in Europa künftig 300.000 E-Autos der Kernmarke pro Jahr mehr gebaut werden müssten. VW stellt mehrere Werke auf die E-Fertigung um. Offen ist teils noch, woher die nötigen Kapazitäten für Batteriezellen kommen sollen. Hier gibt es derzeit auch – wie bei Elektronikteilen auf Halbleiter-Basis – beträchtliche Lieferengpässe.
In der zweiten Jahreshälfte starten nach dem Kompaktwagen ID.3 und dem SUV ID.4 dann die Limousinen/SUV-Mischung ID.5 sowie im wichtigsten Markt China der größere SUV ID.6. In der Volksrepublik und in den USA soll der reine E-Anteil bis 2030 auf mehr als die Hälfte ansteigen. Das bisher eher schleppend laufende Gesamtgeschäft in den Vereinigten Staaten dürfte in diesem Jahr in die schwarzen Zahlen gelangen. Um einen günstigeren Kleinwagen erweitert wird die Reihe wohl ab 2025, sagte Brandstätter. Zuletzt war die Rede davon gewesen, dass ein möglicher ID.2 im Polo-Format schon in der Ausbaustufe ab 2023 kommen könnte.
Gleichzeitig hält VW an Nachfolge-Ausgaben von Benzinern und Dieseln fest, etwa bei Golf, Tiguan und Passat. «Wir brauchen den Verbrenner noch auf bestimmte Zeit – aber so effizient wie möglich», erklärte Brandstätter. Es gibt zudem mehr Plug-in-Hybride. Diese sind wegen der regelmäßigen Zuschaltung des Verbrenners jedoch umstritten.
Aus Sicht von Greenpeace geht der beschleunigte E-Ausbau in die richtige Richtung – doch VW löse sich nicht entschlossen genug von den konventionellen Antrieben. «Diese Reaktion ist gut, aber sie greift zu kurz», so Verkehrsexperte Benjamin Stephan. «Will sich VW einen relevanten Platz auf dem künftigen Markt für Mobilität sichern, muss sich der Konzern unabhängiger machen von der Zahl verkaufter Autos und stärker auf Dienstleistungen wie Car- und Ridesharing setzen.»
Zumindest Dienste rund um das Datengeschäft mit den eigenen Autos will der Hersteller verstärkt anpacken. Beim ID.3 etwa sollen ab dem Sommer drahtlose Software-Updates möglich sein. Es geht um direkte Kundenkommunikation, aber auch um neue Geldquellen. Die digitale Ausstattung der Fahrzeuge wird standardmäßig so ausgelegt, dass alle möglichen Funktionen grundsätzlich vorinstalliert sind und die Nutzer sie dann je nach Nachfrage und Fahrprofil freischalten lassen können.
Mit einer Art Software-Baukasten soll – ähnlich wie bei verschiedenen Antriebs-Baukästen – die teure Vielfalt zahlreicher Grundvarianten abnehmen. VW-Vertriebsvorstand Klaus Zellmer sagte, es sei denkbar, dass das neue Vorgehen «durchaus dreistellige Millionenbeträge in die Kassen bringen» könne. Außerdem sind neue Geschäfte rund um die Energieversorgung und das Laden von E-Fahrzeugen angedacht.
Gegenstück zur Suche nach derlei Erlösmöglichkeiten sind weitere Kostenreduzierungen. Binnen drei Jahren will VW die festen Ausgaben um weitere fünf Prozent drücken. Der Betriebsrat hatte in den Verhandlungen hierzu darauf gedrungen, dass dies nur im Rahmen schon laufender Sparprogramme zulässig ist. Bis 2023 soll die Gewinnkraft im laufenden Geschäft bei der lange chronisch ertragsschwachen Kernmarke mindestens einen Anteil von 6 Prozent des Umsatzes erreichen – und «darüber hinaus nachhaltig abgesichert werden».
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