Der Strafrechtler Björn Gercke hat dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße elf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen im Erzbistum Köln vorgeworfen.
Heße war vor seiner Berufung nach Hamburg Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln. In dieser Funktion musste er sich mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester auseinandersetzen. Heße bestreitet bisher die bereits in anderem Zusammenhang gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Nach dem Urteil der Gutachter sind elf Pflichtverletzungen nachweisbar.
Die meisten Pflichtverletzungen sind dem dem 2017 verstorbenen Kardinal Joachim Meisner zuzuschreiben. Auf Meisners Konto gehe ein Drittel aller festgestellten Pflichtverletzungen, nämlich 24. Ihm sei bewusst, dass Meisner in Köln für viele Menschen «Legendenstatus» habe, sagte Gercke. Weitere Pflichtverletzungen wurden demnach bei Meisners Vorgänger Kardinal Joseph Höffner (1906-1987) und bei ehemaligen Generalvikaren festgestellt.
Beim Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sehen Gercke und sein Team dagegen keine Pflichtverletzungen. Woelki hat zwei Mitarbeiter vorläufig von ihren Dienstpflichten entbunden. «Daher möchte ich auch aus der Situation der Stunde heraus und auch auf der Grundlage dessen, was ich hier gerade gehört habe, die gerade Genannten, Weihbischof Schwaderlapp und Herrn Offizial Assenmacher, mit sofortiger Wirkung vorläufig von ihren Aufgaben entbinden», sagte er in Köln.
Gercke stellte am Donnerstag sein 800 Seiten starkes Gutachten vor. Die Auswertung der Akten von 1975 bis 2018 habe unter anderem ergeben, «dass sich Jahrzehnte offenbar niemand getraut hat, solche Fälle zur Anzeige zu bringen», kritisierte er.
Ein erstes Gutachten einer Münchner Kanzlei war vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unter Verschluss gehalten worden, wofür er rechtliche Bedenken anführte. Dieses Verhalten Woelkis hatte eine Vertrauenskrise im größten deutschen Bistum ausgelöst.
Woelki wurde von Gercke nun aber ausdrücklich in Schutz genommen. «Medial wäre es für uns am einfachsten gewesen, Herrn Woelki hier zum Schafott zu führen», sagte der Strafrechtler. Dafür gebe es aber keine Grundlage. Auch in dem zurückgehaltenen Münchner Gutachten sei Woelki nicht belastet worden.
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