Streit über Justizreformen: EU-Kommission verklagt Polen

Die polnischen Justizreformen sorgen in der EU-Kommission seit Jahren für großen Unmut. Immer wieder ruft die Behörde das Land zum Einlenken auf. Nun soll sich mal wieder das höchste EU-Gericht einschalten.

Im Streit über die polnischen Justizreformen verhärten sich die Fronten zwischen der nationalkonservativen Regierung in Warschau und der EU-Kommission.

Die Brüsseler Behörde sieht die Unabhängigkeit polnischer Richter in Gefahr und verklagt das Land deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof, wie sie am Mittwoch mitteilte. Um keine Zeit zu verlieren, rief die Kommission die höchsten EU-Richter dazu auf, vor einem endgültigen Urteil bereits vorläufige Maßnahmen zu verhängen.

«Ich bin zutiefst besorgt über die fortgesetzten Maßnahmen, die die Unabhängigkeit der Justiz in Polen untergraben», sagte Kommissionsvize Vera Jourova. Der Druck auf polnische Richter nehme immer weiter zu und ihre Unabhängigkeit werde zunehmend ausgehöhlt.

Die Regierung in Warschau zeigte sich davon wenig beeindruckt und wies das Vorgehen der EU-Kommission zurück. Der Antrag habe weder eine juristische noch eine faktische Begründung, schrieb Polens Regierungssprecher Piotr Müller auf Twitter. «Die Regulierung des Bereichs der Justiz zählt zu den ausschließlich nationalen Domänen, das ergibt sich aus der polnischen Verfassung und den EU-Verträgen.» Die polnischen Regelungen wichen nicht von den in der EU verpflichtenden Standards ab.

Die EU-Kommission sieht das deutlich anders. Ihrer Ansicht nach gibt es zwei Knackpunkte: Zum einen untergrabe das Gesetz zur Disziplinierung von Richtern die Unabhängigkeit polnischer Richter und stimme nicht mit dem Vorrang von EU-Recht überein. Zum anderen dürfe die Disziplinarkammer des obersten polnischen Gerichtshofs nicht weiter tätig sein, da sie möglicherweise nicht unabhängig sei.

Das Gesetz zur Disziplinierung von Richtern ist seit Mitte Februar 2020 in Kraft. Es sieht vor, dass Richter mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Entscheidungskompetenz oder Legalität eines anderen Richters, einer Kammer oder eines Gerichts infrage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen. Außerdem geht es um die 2018 gegründete Disziplinarkammer, ein Schlüsselelement der Reformen.

Der EuGH hatte bereits im April 2020 auf Antrag der EU-Kommission entschieden, dass die Kammer ihre Arbeit zunächst aussetzen muss. Allein die Gefahr, dass eine möglicherweise nicht ausreichend unabhängige Kammer Disziplinarverfahren gegen Richter prüfe, könne die Unabhängigkeit der betroffenen Richter beeinträchtigen.

Die EU-Kommission kritisiert jedoch, dass die Kammer weiter Entscheidungen treffe, die sich direkt auf die Berufsausübung von Richtern auswirken. So könne sie die Immunität von Richtern aufheben – mit dem Ziel, sie strafrechtlich zu belangen. Auch seien Fragen des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit betroffen.

«Es muss für den Gerichtshof sein möglich, sehr schnell zu entscheiden», sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Mittwoch. So soll der EuGH nun vorläufig bestimmen, dass die fraglichen Befugnisse der Disziplinarkammer ausgesetzt werden. Auch soll die Wirkung bereits getroffener Entscheidungen mit Blick auf die Immunität von Richtern aufgehoben werden. So soll irreparabler Schaden abgewendet werden.

Ein prominenter Fall in Polen ist der des regierungskritischen Richters Igor Tuleya, dessen Immunität die Disziplinarkammer im November aufgehoben hatte. Er darf auch nicht mehr an Verfahren mitwirken und seine Bezüge werden gekürzt. In Polen genießen Richter und Staatsanwälte Immunität. Eine strafrechtliche Verfolgung ist nur möglich, wenn die Immunität zuvor gerichtlich aufgehoben wurde. Die Staatsanwaltschaft wirft Tuleya Überschreitung seiner Kompetenzen vor, weil er bei der Urteilsverkündung in einem für die PiS unangenehmen Verfahren Medienvertreter im Gericht zugelassen hatte.

Doch dies sind nicht die einzigen Punkte, bei denen beide Seiten über Kreuz liegen. Die für die Überwachung von EU-Recht zuständige EU-Kommission klagte schon mehrfach vor dem EuGH gegen den Umbau des polnischen Justizsystems – und bekam in vielen Fällen Recht. Auch läuft wegen mutmaßlicher Missachtung von EU-Grundwerten ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Polen, das allerdings kaum vorankommt. Polen hingegen weist die Bedenken der EU-Kommission stets von sich und ist nicht zum Einlenken bereit.

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