Ungarn: Soziologe übt scharfe Kritik an Verhältnissen

Ungarn ist nach Auffassung des Soziologen Elemér Hankiss eines der ungerechtesten Länder Europas. Es gebe außerordentlich große Sorgen bei der Verteilung der gesellschaftlichen Güter, sagte der Professor bei einem Treffen mit Vertretern der Wirtschaft. Die gesellschaftlichen Ungleichheiten ließen sich jedoch nach seiner Ansicht mit zahlreichen Methoden abbauen, wofür es beispielsweise durch Initiativen der Bürgerbewegungen auch in Ungarn Beispiele gebe.

Schlechte Noten gab der Experte auch der ungarischen Gesellschaft insgesamt. Sie sei in einem „überaus schlechten Zustand“, stellte er fest. „Heute wirkt sich in Ungarn der schlechte Zustand der Gesellschaft sowohl auf die Institutionen, als auch auf die Mentalität und die Verhaltenskultur aus“, fügte er hinzu.

Ohne eine Gesellschaft, die über ein gesundes und dynamisches Zukunftsbild verfügt, sei aber eine Erneuerung der Wirtschaft unvorstellbar oder zumindest viel schwieriger. Nach Überzeugung des Soziologen gibt es heute in Ungarn kein verantwortungsvolles Regieren sowie keine Möglichkeit, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, was aber ein grundlegendes Mittel der Demokratie sei. „In Ungarn müsste die Demokratie restauriert werden, weil sie schlecht funktioniert.“

Hankiss war vor der Jahrhundertwende drei Jahre lang Direktor des Instituts für Soziologie der Akademie der Wissenschaften. Er ist Gastprofessor zahlreicher ausländischer Universitäten, darunter in Stanford und Florenz. Nach der Revolution von 1956 saß er sieben Monate lang in Untersuchungshaft, bevor er mangels Beweisen freigelassen wurde. Nach der politischen Wende war er mehrere Jahre Lang als Chef des staatlichen Fernsehens tätig.