Ermittler in Halle-Prozess oft überfragt

Richter und Anwälte sind im Halle-Prozess bemüht, so viel wie möglich über die Radikalisierung und Tatvorbereitung zu erfahren. Die Ermittler des BKA können dazu vor Gericht oft nicht viel beitragen. Die Nebenklage will nun eigene Experten laden.

Gaming-Experten, die die Computerspiele des Attentäters nicht kennen, Internet-Experten, die die Foren, auf denen sich der Attentäter aufhielt nicht kennen und Musik-Experten, die die Musik des Attentäters nicht kennen.

Eine Großzahl der Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA), die beim Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle aussagen, offenbart bei den Befragungen vor Gericht Wissens- und Ermittlungslücken. Bei den 23 Anwälten der Nebenklage sorgt das regelmäßig für Empörung.

Auch am 17. Prozesstag gab es wieder deutliche Kritik an der Aufklärungsarbeit der Bundesermittler. «Wir kriegen hier ständig Versatzstücke vom BKA», kritisierte Anwalt David Hermann, als am Mittwoch eine Ermittlerin, die die Musik des Angeklagten analysieren sollte, einräumen musste, dass ihr inhaltliche Zusammenhänge zwischen der rechtsradikalen Online-Szene, der der Angeklagte angehört, und bestimmten Musikrichtungen nicht bekannt waren. «Wenn wir hier einen Internet-affinen 18-Jährigen hingesetzt hätten, hätte der uns wahrscheinlich mehr erzählen können», sagte Herrmann. Er sei «maßlos enttäuscht und entsetzt» von der Ermittlungsarbeit des BKA.

Immer wieder wenn BKA-Beamte die Fragen nicht beantworten können, sagen sie, es sei nicht Teil ihrer Aufgabe gewesen. Es habe offensichtlich keinen ganzheitlichen Ermittlungsansatz gegeben, kritisiert Herrmann.

Die BKA-Beamtin hatte die 12 Lieder, die der Attentäter auf seinem MP3-Player hatte und während des Anschlags abspielte, eingehend analysiert, recherchiert, Texte transkribieren und übersetzen lassen. Bei nur drei Songs einschlägig rechtsradikaler Interpreten konnte sie einen direkten Bezug zur Tat herstellen. Bei einem Lied, das sich auf einen Terroristen bezieht, der mit einem Auto in eine Menschenmenge fuhr, konnte sie keinen solchen Bezug herstellen. Sie wusste nicht, dass auch der Halle-Attentäter auf seiner Flucht versuchte, Menschen gezielt zu überfahren.

Weitere Lieder ordnete sie der Anime-Szene zu, ohne darin einen Bezug zum Terroristen zu sehen. Diese ist in den rechtsradikalen Kreisen im Internet, in denen sich der Attentäter jahrelang herumtrieb, sehr beliebt. Das gilt auch für den Angeklagten, der sogar selbst in dem japanischen Comic-Stil zeichnet. Das habe sie nicht gewusst, sagte die Beamtin. Sie gab – wie viele andere BKA-Ermittler – an, das sogenannte Manifest des Attentäters nie gelesen zu haben.

Das Verfahren um den Anschlag läuft seit Juli. Am 9. Oktober 2019 hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, die Synagoge von Halle zu stürmen, um dort am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ein Massaker anzurichten. Nachdem er nicht in das Gotteshaus gelangte, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und kurz darauf einen 20-Jährigen in einem Döner-Imbiss. Der 28 Jahre alte Deutsche Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen Verschwörungserzählungen begründet. Der Prozess läuft vor dem Oberlandesgericht Naumburg, findet aus Platzgründen aber in Magdeburg statt.

Mehrere weitere Anwälte schlossen sich Herrmanns Kritik am Mittwoch an. Der Nebenklage-Anwalt und Rechtsextremismus-Experte Alexander Hoffmann weitete die Kritik auf die Aussagen eines BKA-Ermittlers von Dienstag aus. Der war in seinen Ausführungen zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinerlei Hinweise auf Komplizen oder Unterstützer des Angeklagten gebe. Zuvor hatte er eingeräumt, dass die Online-Kontakte des Angeklagten zum allergrößten Teil nicht hätten ermittelt werden können. Auf dieser Grundlage habe der Beamte gar kein Fazit ziehen dürfen, erklärte Hoffmann.

Sowohl Hoffmann als auch Hermann betonten allerdings, dass sich ihre Kritik nicht gegen die Beamten persönlich richte. Dafür, dass sie keine Vorkenntnisse habe, sei die Arbeit der BKA-Beamtin «unglaublich» gut gewesen, sagte Hoffmann. Dass man ihr aber offensichtlich Informationen vorenthalten habe, entwerte ihre Arbeit. Ähnlich äußerten sich andere Anwälte.

Schon zu den rechtsradikalen Internet-Foren und zu den PC-Spielen des Attentäters hatten die zuständigen BKA-Beamten viele Fragen nicht beantworten konnte. Unter anderem war im Prozess herausgekommen, dass das BKA die Foren, in denen der Angeklagte aktiv war, weder vor noch nach der Tat beobachtet hat. Die Beamtin, die sein Gaming-Verhalten prüfen sollte, hatte die Spiele selbst nie gespielt. Die Nebenklage will sich nun wohl nicht mehr auf die BKA-Ermittlungen verlassen.

Für Anfang November hat das Gericht auf Antrag der Nebenklage die Autorin Karolin Schwarz als Sachverständige geladen. Sie schreibt über Rechtsextremismus und soll die einschlägigen Foren am Tattag beobachtet und dokumentiert haben. Am Mittwoch beantragte die Anwältin Kati Lang außerdem, einen Experten der Amadeu Antonio Stiftung zu den PC-Spielen zu laden. Besagter Experte habe etwa herausgefunden, mit welchen Nutzernamen der Angeklagte auf Online-Spieleforen unterwegs war und welche Spiele er gespielt hat. Darunter sei ein Spiel, bei dem man lernt Waffen zu bauen und mehrere Kriegsspiele, in denen man für die Wehrmacht kämpfen kann.

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