Keine rasche Erholung nach historischer Wirtschaftskrise

Es wird nichts mit dem «V»: Rasch rauswachsen aus der Corona-Krise mit steilem Anstieg nach dem Absturz. Das hat die EU-Kommission nun offiziell abgeschrieben. Sie rechnet mit einem zähen Aufschwung. Und vielen Risiken.

Die Corona-Wirtschaftskrise wird sich nach der neuen EU-Prognose länger hinziehen als gedacht. Nach dem historischen Absturz dieses Jahr soll die Wirtschaft in der Europäischen Union ab 2021 zwar wieder wachsen, aber vergleichsweise langsam.

Auch 2022 wird demnach die alte Stärke meist noch nicht wieder erreicht. Man habe nie wirklich auf das «V» – starker Einbruch und genauso starker Aufschwung – vertraut, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Donnerstag. «Jetzt wissen wir sicher, dass es nicht kommt.»

Die Prognosezahlen für 2020 fallen nach einem starken dritten Quartal etwas besser aus als im Sommer, und Deutschland steht etwas besser da als andere Staaten. Gleichwohl ist die Rezession beispiellos.

Demnach wird die Wirtschaftsleistung in den 19 Staaten der Eurozone dieses Jahr im Schnitt um 7,8 Prozent einbrechen, in den 27 Staaten der Europäischen Union insgesamt um 7,4 Prozent. Für nächstes Jahr werden 4,2 Prozent Wachstum für die 19 Staaten der Eurozone und 4,1 Prozent für die EU-27 vorausgesagt, für 2022 dann jeweils 3 Prozent.

Deutschland kommt nach dieser Prognose mit einem Minus von 5,6 Prozent besser aus dem Jahr 2020 als der Durchschnitt, dafür setzt die Kommission mit 3,5 Prozent im nächsten und 2,6 Prozent im übernächsten Jahr geringere Wachstumsquoten an. Verheerend sind die Zahlen für dieses Jahr in Spanien (minus 12,4 Prozent), Italien (minus 9,9 Prozent) und Frankreich (minus 9,4 Prozent. Teils wird in den Krisenstaaten eine schnellere Erholung angenommen. Hintergrund für beides ist unter anderem die starke Abhängigkeit vom Tourismus.

Im Juli war die Brüsseler Behörde noch davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsleistung in der Eurozone um 8,7 Prozent und in der EU insgesamt um 8,3 Prozent schrumpft. Nach einem Einbruch um mehr als 11 Prozent wegen des Pandemie-Lockdowns im Frühjahr war die Wirtschaft aber im dritten Quartal sowohl in der Eurozone als auch in der EU insgesamt um mehr als 12 Prozent gewachsen.

Nun verwies Gentiloni auf neue Risiken wegen der zweiten Corona-Welle und der neuen Pandemieauflagen. Deshalb fällt die erwartete wirtschaftliche Erholung nächstes Jahr deutlich schwächer aus als erhofft. Im Juli hatte die Kommission für 2021 noch 6,1 Prozent Wachstum für die Eurozone angenommen und 5,8 Prozent für die EU als Ganzes. Nun sei die wirtschaftliche Erholung unterbrochen, und sie bleibe erst einmal unvollständig, sagte Gentiloni.

Vor allem für den europäischen Arbeitsmarkt kommt das dicke Ende nach dieser Einschätzung noch. Beispiellose Überbrückungs- und Kurzarbeiterhilfen hätten den Anstieg der Arbeitslosigkeit gedämpft, doch werde sie weiter zunehmen: in der Eurozone von 7,5 Prozent 2019 und 8,3 Prozent in diesem Jahr auf bis zu 9,4 Prozent 2021. Für 2022 wird dann immer noch eine Quote von 8,9 Prozent in den Staaten der Gemeinschaftswährung angenommen.

Wegen der enormen Ausgaben im Kampf gegen die Krise wachsen Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung rapide. Vor der Pandemie lag die Defizitquote im Schnitt der Eurozone 2019 noch bei 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – dieses Jahr werden es 8,8 Prozent, nächstes Jahr 6,4 Prozent und 2022 immer noch 4,7 Prozent. Die Verschuldungsquote wächst 2020 nach Gentilonis Worten auf 102 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Normalerweise dürfen die EU-Staaten nicht mehr als 3 Prozent Haushaltdefizit und nicht mehr als 60 Prozent Schuldenquote haben. Doch sind diese Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts wegen der Krise ausgesetzt, mindestens bis Ende 2021. «Das heißt nicht, dass es Ende 2021 endet», sagte der Kommissar.

Gegen die Krise helfen kann aus seiner Sicht das vereinbarte 750-Milliarden-Euro-Programm, das allerdings wie der EU-Haushaltsrahmen immer noch nicht ganz unter Dach und Fach ist. Eine schnelle Einigung sei entscheidend, sagte Gentiloni.

Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold sieht eine noch wichtigere Krisenfeuerwehr: die Europäische Zentralbank, die schon kurz nach Ausbruch der Pandemie mit einem gigantischen Anleihekaufprogramm gegensteuerte. «Wie schon während der Eurokrise ist die EZB auch in der Corona-Krise ein Stabilisierungsfaktor», sagte Giegold der Deutschen Presse-Agentur. «Die Stabilität des Euros sollten die notorischen Kritiker der EZB eines Besseren belehren.»

© dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten.