Brexit: Von der Leyen telefoniert abermals mit Johnson

Knapp vier Wochen vor Ende der Brexit-Übergangsphase heißt die Frage immer noch: Deal oder No-Deal? Um die Antwort wird hart gerungen. Aber in Brüssel ist die Stimmung düster. EU-Chefin Von der Leyen will am Nachmittag abermals mit dem britischen Premierminister Johnson sprechen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Boris Johnson wollen am heutigen Montag um 17.00 Uhr deutscher Zeit den Stand der Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt erörtern. Dies teilte von der Leyens Sprecher Eric Mamer auf Twitter mit.

Von der Leyen und Johnson hatten bei einem ersten Telefonat am Samstag tiefe Differenzen festgestellt, aber eine Fortsetzung der Verhandlungen verabredet. Diese brachten allerdings aus Sicht der EU bis Montagmorgen keine entscheidenden Fortschritte.

In der Schlussphase der Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt der Europäischen Union mit Großbritannien macht sich am Montag Pessimismus breit. EU-Unterhändler Michel Barnier sehe immer noch keinen entscheidenden Fortschritt, berichteten Diplomaten.

Brexit-Experten im Europaparlament äußern sich zunehmend ungehalten. «Dass das Parlament die Katze im Sack kaufen muss, ist völlig inakzeptabel», sagte Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Es gebe Forderungen, einen Bruch ohne Vertrag zum Jahreswechsel zu akzeptieren und danach die Verhandlungen ohne Zeitdruck neu anzusetzen, fügte Schirdewan hinzu. «Ich halte das nicht für den schlechtesten Weg, wenn man sieht, dass bisher nur ein schlechtes Abkommen möglich scheint.»

Schirdewan gehört zur Brexit-Koordinationsgruppe im EU-Parlament und wurde am Montag vom EU-Unterhändler Michel Barnier über den Stand der Verhandlungen informiert. «Die No-Deal-Wahrscheinlichkeit ist größer als die Deal-Wahrscheinlichkeit», schloss der Abgeordnete aus den Informationen.

Barnier verhandelt nach einer kurzen Gesprächspause seit Sonntag wieder in Brüssel mit seinem britischen Kollegen David Frost. Auch der irische Außenminister Simon Coveney zeigte sich wenig hoffnungsvoll. Dennoch gab man eine Einigung noch nicht verloren. «Der Ausgang ist immer noch offen», sagte ein EU-Diplomat nach einer Unterrichtung der EU-Botschafter durch Barnier. «Die EU ist bereit, letzte Anstrengungen aufzubringen, um einen fairen, nachhaltigen und ausgewogenen Deal für die Bürger in der EU und dem Vereinigten Königreich zu erzielen. Es ist jetzt an Großbritannien, zwischen einem solchen positiven Ergebnis und einem No-Deal zu wählen.»

Zuvor hatte die britische Seite Berichte dementiert, dass es am Wochenende einen Durchbruch beim umstrittenen Thema Fischerei gegeben habe. Dies ist einer der drei Knackpunkte. Besonders umstritten sind daneben die EU-Forderung nach fairen Wettbewerbsbedingungen und die Instrumente zur Ahndung von Verstößen gegen das geplante Abkommen.

Die Unterhändler stehen enorm unter Zeitdruck. Ohne Handelsabkommen drohen zum Jahreswechsel Zölle und andere Handelshürden zwischen Großbritannien und der EU. Dann läuft die Brexit-Übergangsfrist aus, während der trotz des britischen EU-Austritts Anfang des Jahres fast alles beim Alten geblieben war. Der wirtschaftliche Bruch kommt erst zum 1. Januar.

Die EU bietet Großbritannien freien Warenhandel ohne Zölle und Mengenbegrenzungen – aber auch ohne Dumping bei Umwelt- oder Sozialstandards und Subventionen. Das verbirgt sich hinter dem Punkt faire Wettbewerbsbedingungen – im Verhandlungsjargon «Level Playing Field». Das Problem: Großbritannien möchte sich von der EU möglichst wenige Vorgaben machen lassen. Die EU will hingegen keine Öffnung ihres Markts für Unternehmen, die geringere Standards einhalten müssen und deshalb billiger produzieren können.

Beim zweiten wichtigen Streitthema Fischerei geht es um die Mengen, die EU-Fischer in britischen Gewässern fangen dürfen. Im Gespräch sind Quoten und eine Klausel zur Überprüfung der Regelung nach einer bestimmten Frist – eine sogenannte Revisionsklausel. Eine Einigung ist auch nach EU-Angaben noch nicht in Sicht.

Neben den eigentlichen Verhandlungsinhalten gibt es einen weiteren Stolperstein: zwei britische Gesetzentwürfe, die das bereits gültige EU-Austrittsabkommen vom Jahresbeginn zum Teil aushebeln würden. Die EU ist empört über den von Großbritannien sogar eingeräumten Vertragsbruch. Die Regierung Johnson sieht die Gesetze hingegen als Sicherheitsnetz für den Fall eines No-Deal. Am Montagabend will sie die sogenannte Internal Market Bill erneut mit den umstrittenen Klauseln ins Unterhaus einbringen – für die EU ein Affront.

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