Johnson verschärft Ton vor Brexit-Dinner mit von der Leyen

Gut drei Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase sucht der britische Premier mit seiner Reise nach Brüssel die große Bühne. Kommt ein Durchbruch – oder der große Knall? Bundeskanzlerin Merkel dämpft die Hoffnungen.

Kurz vor einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel hat der britische Premier Boris Johnson den Ton im Ringen um einen Handelspakt noch einmal verschärft.

Bei der Frage nach fairen Wettbewerbsbedingungen und der Fischerei bestehe die EU derzeit noch auf Standpunkten, die «kein Premierminister dieses Landes akzeptieren sollte», sagte Johnson im Parlament in London. Ein guter Deal sei weiterhin möglich, doch sein Land werde so oder so «mächtig florieren».

Johnson und von der Leyen wollten am Mittwochabend bei einem womöglich letzten Treffen in Brüssel versuchen, die verbliebenen strittigen Punkte zu klären. Das Abendessen sollte nach Angaben der britischen Regierung gegen 20 Uhr (MEZ) beginnen.

Großbritannien hatte die EU Ende Januar verlassen. Ein Vertrag müsste bis zum 31. Dezember stehen, denn dann läuft die Brexit-Übergangsphase aus. Trotz monatelanger Verhandlungen gelang bislang kein Durchbruch. Sollten die Gespräche scheitern, drohen zum Jahreswechsel Zölle, lange Grenzstaus und andere Handelshürden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnete nicht damit, dass es bereits am Mittwochabend zu einer Entscheidung über den Brexit-Handelspakt kommen würde. «Es gibt nach wie vor die Chance eines Abkommens», sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch im Bundestag, fügte aber hinzu: «Ich glaube nicht, dass wir morgen schon wissen, ob das gelingt oder nicht. Das kann ich jedenfalls nicht versprechen.»

Merkel betonte, dass man auch auf ein Scheitern der Verhandlungen vorbereitet sei. «Denn eins ist klar: Es muss die Integrität des Binnenmarkts gewahrt werden können.» Im Mittelpunkt der Verhandlungen sehe sie den fairen Wettbewerb. «Diese Frage des fairen Wettbewerbs in sich auseinanderentwickelnden Rechtssystemen, die ist die eigentlich große Frage, auf die wir befriedigende Antworten brauchen.»

Für Johnson ist der Besuch in Brüssel nach etlichen verstrichenen Fristen der perfekte Rahmen für eine mögliche Einigung: Bereits an diesem Donnerstag und Freitag treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs zu ihrem letzten Gipfel des Jahres. Die Publizistin und Historikerin Helene von Bismarck sagte der dpa: «Johnson ist ein massiver Störfaktor für die EU-Regierungschefs.» Der Brexit werde nicht zwingend im Mittelpunkt des Gipfels stehen, doch mit seiner Reise nach Brüssel sorge Johnson dafür, dass die Staats- und Regierungschefs sich mit ihm beschäftigen müssten.

Von Bismarck rechnet mit einem furiosen Finale der Gespräche über einen Brexit-Handelspakt. «Es ist nicht ausgeschlossen, dass es mit einem Knall endet», sagte sie. «Die Idee des Treffens in letzter Minute, des Dramas war von Johnson immer eingeplant.» Der Premier gilt als charismatischer Typ, der im persönlichen Gespräch erreichen könnte, woran Bürokraten scheitern. «Johnson ist ein Mann für die große Bühne», sagte von Bismarck.

Dem Politikwissenschaftler Anand Menon vom King’s College in London zufolge hofft Johnson durch die Reise nach Brüssel auf eine Änderung des EU-Mandats. Er wolle vom Gipfel eingeladen werden, um direkt mit den 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu verhandeln. Wie auch immer es ausgehe, Johnson werde den Sieg für sich beanspruchen, sagte der Chef des Thinktanks The UK in a Changing Europe. Im Falle eines Scheiterns werde er der EU die Schuld zuweisen.

Einen Fortschritt gab immerhin: Die britische Regierung und die EU-Kommission einigten sich auf die Umsetzung des Nordirland-Protokolls aus dem Brexit-Abkommen. Damit ist die größte Sorge für den Fall eines No Deals weitgehend ausgeräumt. Das Protokoll soll sicherstellen, dass es nicht zu einer harten Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland kommt. Für diesen Fall war mit einem Wiederaufflammen des Konflikts in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gerechnet worden.

Bereits am Dienstag hatte London eingewilligt, umstrittene Passagen in einem Gesetzentwurf zu streichen oder zu ändern, die in Brüssel für viel Unmut gesorgt hatten. Das Binnenmarktgesetz sollte nach dem Willen Londons die Bestimmungen des Nordirland-Protokolls aushebeln und damit internationales Recht brechen.

In der britischen Presse war daraufhin die Rede von einem «Olivenzweig», den Johnson der EU entgegen recke. Der Olivenzweig gilt als Symbol des Friedens. Dass der Besuch bei von der Leyen nur Show ist, glaubt auch Expertin von Bismarck nicht. «Johnson hätte einen No-Deal-Brexit in Kauf genommen, er war aber nicht sein Ziel», sagte sie. Im direkten Gespräch sieht die Expertin mehr Spielraum für Johnson. «Er kann eine politische Entscheidung für oder gegen einen Deal treffen, von der Leyen ist an ihr Mandat gebunden.»

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