Mehr Luftfahrt-Tote trotz Rückgang des Flugverkehrs

Die kommerzielle Fliegerei stand in diesem Jahr vor historischen Herausforderungen. Die Corona-Krise brachte den Weltluftverkehr zeitweise fast zum Erliegen und viele Airlines in Finanznot. Die Flugunfallbilanz 2020 spiegelt diese Entwicklung aber kaum wider.

Die vorläufigen Zahlen der Unfallforscher überraschen: Monatelang kaum Flieger in der Luft und dramatische Einbrüche bei den Passagierzahlen – dennoch kein Rekordjahr bei der Flugsicherheit?

Nach einer Analyse des Hamburger Flugsicherheitsbüros Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre (JACDEC) starben 2020 bei Flugunfällen in der kommerziellen Luftfahrt weltweit 318 Menschen. Obwohl viele Airlines 2020 infolge der Pandemie und der weltweiten Reisebeschränkungen weniger Passagiere beförderten, ist die Zahl der Flugunfallopfer gegenüber dem Vorjahr damit sogar um 25 gestiegen.

«In Zeiten von Covid-19 ein Widerspruch – der aber zeigt, wie hoch das Sicherheitsniveau ohnehin schon war», sagt JACDEC-Gründer Jan-Arwed Richter. Das Flugsicherheitsbüro hat die Analyse im Auftrag des Luftfahrtmagazins «Aero International» (Februar-Ausgabe) gemacht.

Schon ein einziger Crash könne darüber entscheiden, ob ein Unfalljahr gut oder schlecht ist. Das verstelle oft den Blick darauf, wie gering die Wahrscheinlichkeit von Flugzeugabstürzen in der kommerziellen Luftfahrt sei. Nur ein einziger größerer Unfall beeinflusse die Jahresbilanz erheblich.

2020 gab es mindestens drei größere Unglücke: Der Abschuss einer ukrainischen Boeing 737-800 im Iran mit 176 Toten, den Crash eines pakistanischen Airbus A320 in Karatschi (97 Tote) sowie der Landeunfall einer Boeing in Indien, bei dem 20 Menschen starben.

«Es ist das nun beginnende Jahr, das mir in Sachen Flugsicherheit eher Sorgen bereitet», sagt der südafrikanische Flugexperte und Verkehrspilot Flippie Vermeulen. Die Corona-Flaute hat die Branche so schwer getroffen wie kaum eine andere. Ticket-Buchungen blieben aus, Flugzeuge am Boden: Gebeutelte Airlines in aller Welt stöhnen unter einem der schwersten Verlustjahre seit dem Beginn der Luftfahrt.

Doch wenn kaum noch geflogen wird, hat das auch Folgen für Piloten. «Die brauchen permanentes Training – die Mindeststundenzahl für den Erhalt der Lizenz reicht da bei weitem nicht aus», sagt Vermeulen, der als Prüfer für Verkehrspiloten weiß, wovon er spricht.

Auch der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg mahnt: «Die Fluggesellschaften müssen rechtzeitig vor dem Wiederstart Pläne erarbeiten, um ihre nicht aktiv eingesetzten Pilotinnen und Piloten sowie Techniker intensiv zu schulen.» Und er sieht noch eine andere Herausforderung auf die Airlines zukommen. «Noch weiß niemand, wann wie viele Flugzeuge in welchen Verkehrsgebieten profitabel einsetzbar sind – das wird ein Herantasten», sagt Schellenberg.

Bis die Luftfahrtbranche zu ihrem langfristigen Wachstumstrend zurückkehrt, dürften nach Schätzungen des US-Flugzeugherstellers Boeing mindestens fünf Jahre vergehen. Fürs ablaufende Jahr 2020 sagt der Weltluftfahrtverband IATA allein den europäischen Airlines einen Nettoverlust von 26,9 Milliarden Dollar voraus, 2021 dürfte es noch einmal fast halb so viel werden. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) erwartet in diesem Jahr für die zivile Luftfahrtindustrie sogar einen Umsatzeinbruch von rund 40 Prozent.

Doch in dieser schwierigen Ausgangslage muss fürs Wiederanfahren des Geschäfts zunächst einmal kräftig Geld investiert werden – etwa, um eingemottete Flugzeuge wieder in die Luft zu bekommen. «Meine große Sorge dabei ist es, dass kleinere Airlines versucht sein könnten, sie ohne größere, aufwendige Checks wieder in den Dienst zu stellen», sagt Vermeulen. Für die Flugsicherheit könnte das fatale Folgen haben – davor warnt auch bereits eindringlich der Branchenverband IATA.

Einer von vielen Unsicherheitsfaktoren, die ein Fragezeichen hinter das Luftsicherheitsjahr 2020 stellten, war auch das Wetter: Bis zu 90 Prozent der normalerweise von Jets gelieferten Wetter-Daten standen 2020 plötzlich nicht mehr zur Verfügung, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) klagte. Normalerweise liefern 40 Airlines mit Tausenden Passagier- und Frachtjets Daten zu Temperatur, Windrichtung und -stärke. Die Folge: Wetterberichte wurden ungenauer.

© dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten.