Im Eiltempo stimmt das britische Parlament über den Brexit-Handelspakt mit der Europäischen Union ab. Beide Kammern sollen die Vereinbarung innerhalb weniger Stunden abnicken.
Spät am Abend soll dann Königin Elizabeth II. als Staatsoberhaupt das Brexit-Gesetz mit ihrer Unterschrift in Kraft setzen. Wie aus vorab veröffentlichten Auszügen seiner Rede vor dem Parlament hervorgeht, will Premierminister Boris Johnson den Deal als historische Chance und nationale Erfüllung bewerben. Zentraler Zweck sei, «etwas zu erreichen, von dem das britische Volk in seinem Herzen immer wusste, dass es getan werden kann», wird Johnson demnach sagen. Es gehe darum, mit den europäischen Nachbarn freundschaftlich zusammenzuarbeiten und Handel zu treiben, aber zugleich die souveräne Kontrolle über Gesetze und «unser nationales Schicksal» zu behalten.
Der Premierminister will dabei die enge Freundschaft zu Europa betonen – eine komplette Loslösung sei nie in Frage gekommen. «Was wir suchten, war kein Bruch, sondern eine Lösung – eine Lösung der alten und ärgerlichen Frage der politischen Beziehungen Großbritanniens zu Europa, die unsere Nachkriegsgeschichte belastete», steht im Manuskript. Großbritannien werde der beste Freund und Verbündete sein, den die EU haben könnte. Gleichzeitig werde der Wunsch des britischen Volkes erfüllt, unter eigenen Gesetzen zu leben.
Die Zustimmung der beiden Parlamentskammern gilt als sicher. Dennoch wird es ein langer Tag in London: Nachdem am Vormittag (9.30 Uhr) in Brüssel EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel das knapp 1250 Seiten dicke Dokument signiert haben, wird es mit einer Maschine der britischen Luftwaffe (RAF) in die britische Hauptstadt geflogen. Dort soll dann Premierminister Johnson den Vertrag unterzeichnen. Die 27 EU-Staaten haben dem Start des Brexit-Handelspakts zum 1. Januar bereits offiziell zugestimmt.
Bereits um 10.30 Uhr deutscher Zeit beginnt im britischen Unterhaus – dem House of Commons – die Diskussion über das Gesetz. Mit dem Ende der Abstimmung wird gegen 15.30 Uhr gerechnet. Johnsons konservative Partei verfügt hier über eine deutliche Mehrheit. Mit Gegenwind aus den eigenen Reihen muss der Premierminister nicht rechnen: Am Dienstag hatten sich innerparteiliche Brexit-Hardliner hinter den Pakt gestellt. Auch die größte Oppositionsfraktion Labour hat grundsätzlich ihre Zustimmung signalisiert, allerdings widersprechen einige Abgeordnete dem Kurs von Parteichef Keir Starmer.
Danach muss auch das Oberhaus – das House of Lords – dem Vertrag zustimmen. Nicht ausgeschlossen wird, dass dort kleinere Änderungen beschlossen werden, über die dann erneut die erste Kammer entscheiden muss. Schließlich folgt die Zustimmung der Königin, der «Royal Assent». Dieser formelle Akt wird erst für den späten Abend erwartet.
Großbritannien und die EU hatten sich erst an Heiligabend auf den Vertrag geeinigt. Das mühsam ausgehandelte Handels- und Partnerschaftsabkommen soll die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent von Januar 2021 an regeln. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden und möglichst reibungslosen Handel zu sichern. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen. Großbritannien war bereits Ende Januar 2020 aus der EU ausgetreten, nun endet auch die Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion.
Der walisische Regierungschef Mark Drakeford nannte den Vertrag «enttäuschend». «Für unsere Bürger bedeutet er längere Schlangen an Flughäfen, Visa für längere Reisen, teurere Mobilfunkkosten. Weniger Menschen aus der EU, die in unserem Gesundheits- und Sozialhilfewesen arbeiten und sich um Leute in Not kümmern», sagte Drakeford. Wie zuvor bereits seine schottische Kollegin Nicola Sturgeon warf er Johnsons Regierung «Kulturvandalismus» vor, weil sie aus dem EU-Studentenaustauschprogramm Erasmus aussteigt.
Ein deutscher Experte rechnet trotz der Einigung zwischen London und Brüssel mit Nachverhandlungen. «Das Abkommen ist rudimentär», sagte York-Alexander von Massenbach von der Britischen Handelskammer in Deutschland der Deutschen Presse-Agentur. «Es ist das Beste, das man im Rahmen der Umstände und in konfliktbelasteten Gesprächen hinbekommen konnte.» Aber gerade aus britischer Sicht sei es «fast schon erstaunlich», dass ein Deal vereinbart wurde.
«Es zeigt, wie emotional und eben nicht unbedingt wirtschaftlichen Interessen folgend verhandelt wurde, wenn der Fischerei mehr Bedeutung zukam als Finanzdienstleistungen», sagte der Leiter des Londoner Büros der Rechtsanwaltsgesellschaft Luther. Daher könne die Konsequenz nur sein, dass dieser Punkt nachgeholt werde.
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