Bezos gibt Amazon-Vorstandsvorsitz ab – Cloud-Chef übernimmt

Beim Internet-Giganten Amazon steht ein Chefwechsel bevor: Jeff Bezos, der den Konzern vor über einem Vierteljahrhundert gründete, will den Vorstandsvorsitz abgeben. An Ruhestand denkt er aber nicht: «Ich hatte noch nie mehr Energie», betont der Top-Manager.

Der weltgrößte Onlinehändler Amazon leitet nach einem Rekord-Geschäftsjahr einen Wechsel an seiner Vorstandsspitze ein.

Gründer Jeff Bezos tritt nach rund 27 Jahren einen Schritt zurück und übergibt den Vorsitz im dritten Quartal 2021 an seinen langjährigen Kronprinzen Andy Jassy, der die boomende Cloud-Sparte leitet. Für den Konzern dürfte dies indes keinen großen Umbruch bedeuten, als geschäftsführender Vorsitzender des Verwaltungsrats bleibt Bezos der starke Mann im Hintergrund. Amazon bemühte sich rasch, die Bedeutung herunterzuspielen – Bezos werde besonders bei großen Entscheidungen «sehr involviert» bleiben, sagte Finanzchef Brian Olsavsky.

Jassys Beförderung kommt derweil nicht überraschend, der 53-Jährige galt schon lange als Favorit, einmal die Nachfolge des nur vier Jahre älteren Bezos anzutreten. Jassy ist ein Firmenveteran und enger Vertrauter von Bezos. Er baute das lukrative Cloud-Geschäft auf und verantwortet mit Amazon Web Services (AWS) das Flaggschiff der Sparte, die sich längst zum Profitzentrum des Konzerns entwickelt hat. Angesichts der starken Zahlen, die Amazon zuletzt lieferte, sprach Bezos von einem «optimalen Zeitpunkt für den Übergang». Doch Jassy steht auch vor großen Herausforderungen. Im Cloud-Geschäft wird die Konkurrenz immer größer, zudem nimmt der Regulierungsdruck zu.

Bezos dürfte jedoch auch künftig viel Einfluss bei Amazon ausüben. In einem Memo an die Mitarbeiter erklärte der 57-Jährige, dass es bei seiner Entscheidung nicht darum gehe, sich in den Ruhestand zu verabschieden. «Ich hatte noch nie mehr Energie», betonte Bezos. In seiner zukünftigen Rolle als Verwaltungsratschef wolle er seine Aufmerksamkeit auf neue Produkte und Initiativen ausrichten. Die «New York Times» bezeichnete den Spitzenwechsel als möglicherweise eher «symbolischen Schritt», der de facto nicht viel verändere. Bezos erklärte jedoch auch, dass er dadurch mehr Zeit für andere Projekte gewinne wie seine Stiftungen, seine Raumfahrtfirma Blue Origin oder die Zeitung «The Washington Post», die in seinem Privatbesitz ist.

Am 5. Juli 1994 gründeten Bezos und seine damalige Ehefrau MacKenzie in einer Garage bei Seattle einen Online-Buchladen. Daraus entstand einer der wertvollsten Konzerne der Welt: Amazon. Was mit Büchern begann, entwickelte sich zum größten Internetkaufhaus der Welt. Heute hält Amazon mit seinen Cloud-Services, die etwa Start-ups IT-Anwendungen und Speicherplatz im Netz bieten, unzählige Firmen am Laufen. Der Konzern hat zudem eine eigene US-Supermarktkette und Streaming-Services. Mit dem Aufbau einer eigenen Lieferlogistik setzt Amazon Paketzusteller wie UPS, Fedex und DHL unter Druck – und niemand weiß so recht, welche Branchen als nächstes drankommen.

Bezos machte der Erfolgszug seines Unternehmens als Großaktionär steinreich. Mit einem geschätzten Vermögen von 197 Milliarden US-Dollar (163,5 Mrd Euro) ist er dem «Bloomberg Billionaires Index» zufolge derzeit der zweitwohlhabendste Mensch der Welt hinter Tesla-Chef Elon Musk. An der Börse hatte Amazon wegen chronisch roter Zahlen lange Zeit einen schweren Stand. Doch seit Bezos zuverlässig Gewinne liefert, ist er auch zum Liebling der Wall Street geworden. Im September 2018 gelang es Amazon als zweiter Aktiengesellschaft nach dem iPhone-Riesen Apple, die magische Marke von einer Billion Dollar beim Börsenwert zu knacken. Zuletzt lag die Marktkapitalisierung bei enormen 1,7 Billionen Dollar.

Auch die Nachricht von Bezos‘ Rücktritt konnte Anleger am Dienstagabend nicht schocken – die Aktie notierte am Mittwoch vorbörslich deutlich im Plus. Das Geschäft läuft glänzend: In den drei Monaten bis Ende Dezember knackte Amazon beim Umsatz dank des Bestell-Booms in der Corona-Krise und eines starken Weihnachtsgeschäfts erstmals die Marke von 100 Milliarden Dollar. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum legten die Erlöse um 44 Prozent auf 125,6 Milliarden Dollar zu. Den Nettogewinn konnte Amazon auf 7,2 Milliarden Dollar (6,0 Mrd Euro) deutlich mehr als verdoppeln. Im Geschäftsjahr 2020 verdiente der Konzern 21,3 Milliarden Dollar, was einem Anstieg um 84 Prozent und einer neuen Bestmarke entspricht.

Amazons größter Profittreiber ist derweil nicht der Onlinehandel, sondern das Cloud-Geschäft mit IT-Services und Speicherplatz im Internet. Insofern ist es auch nur logisch, dass mit Andy Jassy der Leiter dieser Sparte zum künftigen Vorstandschef befördert wurde. Amazons Cloud-Plattform AWS, die von vielen Unternehmen und Apps genutzt wird, erhöhte den Quartalsumsatz um 28 Prozent 12,7 Milliarden Dollar. Das Betriebsergebnis kletterte um 37 Prozent auf 3,6 Milliarden Dollar – Amazons Gewinnmaschine läuft also weiter auf Hochtouren. Doch der Markt wird immer umkämpfter – mit Microsoft und der Google-Mutter Alphabet erhöhen finanzstarke Rivalen den Druck.

Jassy erwarten auch sonst einige Herausforderungen, etwa durch Kartellbehörden und andere Regulierer. Amazon wird vorgeworfen, mit seiner großen Marktmacht und seinen Niedrigpreisen den Einzelhandel zu zerstören. Auch wegen umstrittener Arbeitsbedingungen gibt es häufig Kritik. Der mächtigste Feind saß bis vor kurzem noch im Weißen Haus: Ex-US-Präsident Donald Trump und Bezos verband eine erbitterte Fehde. Als Hauptgrund galt indes weniger das Geschäftliche, sondern vor allem Trumps Abneigung gegenüber der «Washington Post», die häufig kritisch über ihn berichtet. Doch auch unter der neuen US-Regierung von Joe Biden dürfte der Argwohn gegenüber Amazon groß bleiben – einige hochrangige Vertreter beider großer US-Parteien fordern sogar eine Zerschlagung des Konzerns.

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