Halbleiter-Mangel legt Import-Abhängigkeit offen

Der Chipmangel trifft nicht nur die Automobilindustrie hart. Auch andere Branchen suchen händeringend nach Halbleitern. Andere Digital-Produkte sind besser verfügbar. Doch viele deutsche Unternehmen sehen auch hier gefährliche Abhängigkeiten.

Mikroprozessoren sind in diesen Wochen ein knappes Gut, insbesondere bei den Autoherstellern. Bei Volkswagen, Audi oder Daimler sind zuletzt sogar schon Schichten ausgefallen, weil die begehrten Chips einfach nicht aufzutreiben waren oder verspätet in der Produktion eingetroffen waren.

Gründe für den internationalen Mangel an Halbleitern gibt es viele: Wegen des Handelskriegs zwischen den USA und China kaufen chinesische Hersteller wie Huawei und Xiaomi gerade die Märkte leer. Auch Hersteller von PCs und Spielekonsolen sind hinter den Halbleitern her, weil die Coronakrise ihnen eine Sonderkonjunktur beschert hat, die sie kaum befriedigen können.

Der fehlende Nachschub belastet die Automobilindustrie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Sie steckt mitten in einem umfassenden Wandel hin zur Elektromobilität und hat in der Coronakrise deutliche Umsatzverluste hinnehmen müssen. Dadurch gingen auch wichtige Produktionskapazitäten im Halbleitersektor an die konkurrierenden Branchen verloren. Und jetzt, wo die Nachfrage nach Autos wieder anzieht, fehlen die Chips.

Verschärft wird der Halbleiter-Mangel durch die aktuelle Kälte-Katastrophe in Texas. Die ungewöhnlich tiefen Temperaturen im Süden der USA haben für großflächige Stromausfälle gesorgt und behindern die dort angesiedelte Chip-Produktion. Neben Samsung und NXP ist auch der deutsche Chiphersteller Infineon in der Region der texanischen Hauptstadt Austin aktiv. Nach einem Warnhinweis des Stromversorgers konnten die Verantwortlichen gerade noch rechtzeitig am Dienstag die Produktion herunterfahren, bevor ein plötzlicher Stromausfall die Produktionsanlagen dauerhaft beschädigt hätte.

Durch den Ausfall in Texas verschärft sich nun der Mangel an Mikrocontrollern und Halbleitern für die Leistungselektronik, so dass vermutlich viele Kunden länger auf ihren Neuwagen warten müssen. «Wir haben da eine Verknappung», sagte Achim Berg, der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, auf einer Online-Pressekonferenz.

Die Halbleiterindustrie steht auf der Liste der digitalen Produkte und Dienstleistungen, bei denen die deutsche Industrie insgesamt in einem gefährlichen Ausmaß von Lieferungen aus dem Ausland anhängig ist, allerdings nicht ganz oben. Der Digitalverband Bitkom hat dazu bei den Firmen in Deutschland nachgefragt. Die Unternehmer sehen die Abhängigkeit bei der IT- und Kommunikationshardware, dem 5G-Mobilfunk und der Künstlichen Intelligenz am stärksten.

Auch jenseits von möglichen Lieferengpässen bereitet diese generelle Abhängigkeit von Importen bei digitalen Technologien den Verantwortlichen in den Unternehmen Kopfschmerzen, denn die Digital-Importe sind existenziell wichtig für die deutsche Wirtschaft.

Die repräsentative Umfrage bei 1100 Unternehmen ergab, dass 94 Prozent von ihnen darauf angewiesen sind. «Eine große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland hält sich für nur kurzzeitig überlebensfähig, wenn digitale Technologien beziehungsweise Dienstleistungen plötzlich nicht mehr aus dem Ausland bezogen werden könnten», sagte Berg.

Verschärft wird die Problematik dadurch, dass das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in die USA, einen zentralen Player der internationalen IT-Branche, inzwischen vergleichsweise gering ausfällt. Nur noch 39 Prozent der deutschen Unternehmer haben ein «großes Vertrauen» in den Standort USA. Zwar werden die Standorte China (31 Prozent) und Russland (15 Prozent)noch skeptischer gesehen. Aber bei den EU-Ländern liegt der Vertrauenswert bei stolzen 89 Prozent, gefolgt von Japan (61 Prozent) und Großbritannien (59 Prozent).

Der Bitkom-Präsident forderte, die deutsche Wirtschaft müsse sich von ungesunden Abhängigkeiten lösen und mehr Eigenständigkeit entwickeln. «Es geht darum, künftig auf Augenhöhe digitale Schlüsseltechnologien, Geschäftsmodelle oder auch Ökosysteme mitzugestalten.» Berg sprach sich dabei gegen Handelshemmnisse aus. Eine staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung sei aber wünschenswert. Dabei sollten vorhandene Kompetenzen gestärkt werden. «Wir sind beispielsweise sehr gut beim autonomen Fahren.» Auch bei der IT-Sicherheit und der künstlichen Intelligenz sowie in der Medizin gebe es große Stärken.

Doch selbst wenn die Forderungen des Digitalverbandes zügig umgesetzt werden, würde sich an der Abhängigkeit von Digital-Technik aus dem Ausland kurzfristig kaum etwas ändern. Um etwa die gestiegene Nachfrage an Halbleitern zu befriedigen, müssen neue Kapazitäten aufgebaut werden – und das dauert.

Außerdem stehen gerade die Automobilhersteller vor der Herausforderung, von der Chipbranche überhaupt als relevanter Abnehmer wahrgenommen zu werden, für die es sich lohnt, neue Kapazitäten auszubauen. So verbraucht allein der iPhone-Hersteller Apple ungefähr so viele Mikroprozessoren wie die gesamte Autoindustrie. Auf der Liste der Top-Chipeinkäufer weltweit des Marktforschers Gartner stehen nur Unternehmen aus den USA, Südkorea und China.

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