Mit immer wieder kippender Stimme zeichnet eine der Schlüssel-Zeuginnen bei der Aufklärung des Milliarden-Bilanzskandals Wirecard ein chaotisches Bild.
Das einer Chefin, die die wichtigen, folgenschweren Gespräche ihren Mitarbeitern überlässt – obwohl es, wie Politiker immer wieder betonen, um ein «Jahrhundertereignis» geht. Das Bild einer Aufseherin, die der Staatsanwaltschaft spektakuläre Vorwürfe blind abnimmt, die Bedenken der Bundesbank zur Seite wischt – und die vom Finanzministerium an einer langen Leine gehalten wird. Bis heute, auch im Nachhinein, sehe sie nicht, warum ihr Handeln im Fall Wirecard ein schwerer Fehler gewesen sein solle, sagt die Vizepräsidentin der Bafin, Elisabeth Roegele, im Bundestag. Schon in wenigen Wochen muss sie ihren Posten räumen.
Die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal können nur mit dem Kopf schütteln. «Bis heute hat Frau Roegele nicht verstanden, was echte Fehlerkultur bedeutet», sagt der Finanzpolitiker der Grünen, Danyal Bayaz. «Ihr Bild von Finanzmärkten und den Aufgaben einer Finanzaufsicht hinterließ einen Eindruck von Naivität und Vorurteilen.» Seine Kollegen Florian Toncar (FDP) und Fabio De Masi (Linke) werfen Roegeles Finanzaufsicht vor, die Falschen geschützt und den Markt in die Irre geführt zu haben.
Im Fokus der Vorwürfe steht ein sehr selten genutztes Instrument der Finanzaufsicht: das Verbot von Spekulationen auf fallende Kurse – der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer spricht immer wieder von einem «Jahrhundertereignis». Die Bafin hatte im Frühjahr 2019 ein solches Leerverkaufsverbot für Wirecard-Papiere ausgesprochen – und damit aus Sicht der Politiker das Skandalunternehmen in eine Opferrolle geschoben.
Der Grund, sagt Roegele, seien Angaben der Münchner Staatsanwaltschaft gewesen. Diese habe Anhaltspunkte für eine Attacke von Leerverkäufern gehabt, die auf die fallenden Kurse wetten und oft gezielt negative Informationen über ein Unternehmen veröffentlichen, um den Markt zu beeinflussen. Außerdem habe die Staatsanwaltschaft von Anhaltspunkten für Straftaten wie Erpressung berichtet. In München glaubte man Wirecard-Anwälten, das Unternehmen werde aus der Medienbranche unter Druck gesetzt. Hat die Bafin diese Vorwürfe überprüft? «Das ist, bei aller Wertschätzung, nicht unsere Vorgehensweise», sagt Roegele. Man gebe sich nicht als «Ermittler hinter dem Ermittler der Staatsanwaltschaft».
So verhängte die Bafin das Verbot – was man ihr zuletzt vielfach als Parteinahme oder Gütesiegel für Wirecard ausgelegt habe. «Das war und ist nicht die Zielsetzung der Bafin, die sie mit dem Leerverkaufsverbot verbunden hat», versichert die Exekutivdirektorin. Für die Bafin sei irrelevant, ob die Vorwürfe der Leerverkäufer wahr seien. Es gehe allein darum, ob der Markt manipuliert werde und Anlegern erhebliche Verluste drohten. Das allerdings, meint sie, hätte man besser erklären können.
Es ist möglich, dass der mutmaßliche Milliardenbetrug bei Wirecard ohne die umstrittene Maßnahme der Bafin früher aufgefallen wäre. Das ehemals aufstrebende und inzwischen insolvente Fintech hatte im vergangenen Sommer nach Sonderuntersuchungen von Wirtschaftsprüfern ein Bilanzloch von 1,9 Milliarden Euro eingestanden. Der mutmaßliche Betrug war offenbar über Jahre weder Wirtschaftsprüfern noch der Finanzaufsicht aufgefallen.
Welche Rolle spielte dabei das Finanzministerium, das die rechtliche und fachliche Aufsicht über die Bafin hat? Die Finanzaufsicht hatte das Ministerium über das geplante Verbot informiert. Dass von dort keine Reaktion kam, sei durchaus üblich und man habe es als stilles OK gewertet, sagt Roegele. Für den Unions-Abgeordneten Hans Michelbach ist klar: «Das Bundesfinanzministerium steht damit voll in der Verantwortung für das falsche Marktsignal und damit den Schaden, der durch die Wirecard-Pleite entstanden ist.»
Roegeles Aussagen seien «im Wesentlichen eine Ansammlung von Schutzbehauptungen für eine fatale Entscheidung, die den Markt auf eine falsche Fährte schickte», meint Michelbach. Die Bafin sei offenkundig völlig überfordert gewesen. «Das war nicht Aufsicht auf Weltklasseniveau, sondern bestenfalls unterste Kreisklasse.»
Auch der SPD-Finanzpolitiker Jens Zimmermann sieht chaotische Zustände bei der Bafin. Letztlich aber habe die Entscheidung bei Roegele gelegen. «Auch eine direkte Absprache mit der Spitze des Bundesfinanzministeriums wurde nicht herbeigeführt», betonte er. Die Bafin hatte zunächst Referenten, nicht aber direkt Staatssekretäre oder gar Minister Olaf Scholz informiert.
Trotzdem wird sich der SPD-Kanzlerkandidat noch unangenehmen Fragen zu dem Fall stellen müssen. Mit der Befragung Roegeles nähere sich der Ausschuss «dem Epizentrum des Wirecard-Skandals», sagt Bayaz. Zum Showdown sollen im April Scholz und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aussagen. Vor allem der Finanzminister könnte sich wenige Monate vor der Bundestagswahl sicher Angenehmeres vorstellen. Die Vorwürfe aus der Opposition und auch vom Koalitionspartner sind hart: Sein Ministerium habe alle Fehler im Fall Wirecard mitgetragen, sich mit der Bafin zusammen «auf die Seite des Skandalunternehmens gestellt».
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