Es hätte verheerend werden können: Ein Mann hat vor rund einem Jahr an der ICE-Strecke Frankfurt-Köln über 250 Schrauben der Schienenbefestigung gelöst – hätte dies niemand bemerkt, wäre ein Zug entgleist.
Zu Schaden kam letztlich dank aufmerksamer ICE-Lokführer keiner; der Täter wurde am Montag vom Wiesbadener Landgericht unter anderem wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von neun Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Immer wieder sagte der Vorsitzende Richter bei seiner Urteilsbegründung zwei Worte: «übersteigerte Geltungssucht». Diese hatte nach Überzeugung des Gerichts den heute 52-jährigen Deutschen, bei dem ein Psychiater in dem Prozess eine dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hatte, zu der Tat getrieben. Aus dieser Sucht heraus schickte der grauhaarige Mann, der wegen einiger seiner 22 Vorstrafen schon einige Jahre im Gefängnis gesessen hat, bereits 2018 etliche Schreiben unter anderem an das Bundeskanzleramt, in denen er laut Richter «wilde Geschichten» schilderte.
Terroristen hätten ihm mitgeteilt, sie planten einen Anschlag auf eine ICE-Strecke, schrieb er. Nur er könne die Tat verhindern. Dafür verlange er 88,385 Milliarden Euro zuzüglich unter anderem lebenslanges kostenloses Bahnfahren sowie diverse «weibliche Gespielinnen». Nicht auf ein einziges seiner Schreiben erhielt er eine Antwort, und so wollte er nach Überzeugung des Wiesbadener Landgerichts seinen Forderungen mit einer Tat Nachdruck verleihen. Wie die Ermittlungsbeamten später feststellten, recherchierte er im Internet, wie Gleisarbeiten ausgeführt werden und wann auf der ICE-Strecke Frankfurt-Köln Züge fuhren. Den später betroffenen Streckenabschnitt bei Niedernhausen nahe Wiesbaden schaute er sich auf einer virtuellen Landkarte ganz genau an.
Jeweils mitten in der Nacht war dort für jeweils vier Stunden Ruhe auf den Gleisen. Der Mann mietete sich in einem Hotel in der Nähe unter falschem Namen ein und nutzte die nächtliche Ruhe, um am Gleis mit einem großen Vierkantschlüssel insgesamt 254 Schrauben zu lösen, was laut Richter «erschreckend einfach war». Wie viele Nächte er dafür insgesamt brauchte, blieb in dem Prozess unklar. Es können höchstens vier gewesen sein. Die Konsequenzen seines Tuns waren ihm laut Richter dabei völlig klar.
Strafmildernd wertete das Gericht, dass er nach der Tat zumindest versucht hatte, die Behörden zu warnen. Er rief sogar bei der Bundespolizei an, nannte den genauen Ort – doch er wurde wegen seiner völlig übertrieben geschilderten Geschichte nicht ernst genommen. «Man hätte eine Überprüfung des Streckenabschnitts einleiten müssen», so die Kritik des Richters.
Die Katastrophe wurde schließlich dadurch verhindert, das am 20. März 2020 Lokführer ein seltsames Verhalten ihrer ICE meldeten. Die Strecke wurde sofort gesperrt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 400 Züge mit einem Tempo von bis zu 300 Kilometern pro Stunde über die lose Schiene gedonnert. Ein Sachverständiger berechnete in dem Prozess, dass es nur noch wenige Züge gebraucht hätte, bis ein ICE entgleist wäre – und das in der Nähe einer Brücke und einer Tunneleinfahrt.
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